Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Nach Berechnungen der Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr um 0,8 Prozent schrumpfen. Das gab der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) bekannt. Die wirtschaftliche Situation in Deutschland sei allerdings besser, als noch im Herbst 2022 zu erwarten gewesen sei. Die Aussichten hellten sich deutlich auf, betonte DSGV-Präsident Helmut Schleweis bei der Vorstellung der Prognose. Er hielt es auch für denkbar, dass das Ergebnis besser ausfällt.

"Wir sehen zur Zeit keine Insolvenzwelle, keine besonderen Ratingverschlechterungen und auch keine Verschlechterung von anderen Indikatoren für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unserer gewerblichen Kundinnen und Kunden", erklärte Schleweis. Die Ertragslage der Unternehmen sei im Durchschnitt gut, die Auftragsbücher seien gefüllt. "Damit zeigt sich die Stärke der deutschen Wirtschaft und besonders des Mittelstandes, immer wieder flexibel auf Krisen zu reagieren."

Mehrere Faktoren sorgten gemeinsam dafür, dass sich Unternehmen und private Haushalte resilient zeigten, erklärte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater: "Milde Temperaturen haben beim Energiesparen geholfen. Hinzu kommen staatliche Unterstützungen und ein robuster Arbeitsmarkt." Dies seien wichtige Schlüssel, um die Nachfrage der privaten Haushalte in Deutschland stabil zu halten.


Rückgang der Inflation nur Zwischentief 

Wesentlicher Belastungsfaktor bleibe aber die Inflation. Für das laufende Jahr erwarte die Sparkassen-Finanzgruppe in Deutschland eine Teuerungsrate von 8 Prozent im Jahresdurchschnitt. Für 2024 werden 3,5 Prozent prognostiziert. Zwar sei die Inflationsrate im Dezember zurückgegangen, dies sei aber nur ein Zwischentief. "Der Rückgang der Teuerung ist vor allem ein Rückpralleffekt der zuvor stark gestiegenen Energiepreise. Sie sinken jetzt, das übertönt aber ein weiterhin reges Inflationsgeschehen bei anderen Preisen, etwa für Dienstleistungen", sagte Kater.

Inflation raube Menschen den Wert ihrer finanziellen Vorsorge. Es gebe deshalb keine sinnvolle Alternative zur Fortsetzung der geldpolitischen Wende, erklärte Schleweis. Die Europäische Zentralbank habe die Zinswende aber zu spät eingeleitet. "Dass der Druck jetzt nicht voll auf die ganze Volkswirtschaft durchschlägt, sondern abgepuffert wird, ist der langfristig angelegten Finanzierungskultur in Deutschland zu verdanken", sagte er.

Schleweis plädierte dafür, über die dringlichen Krisenreaktionen nicht die langfristig notwendigen Strukturveränderungen aus den Augen zu verlieren. Um eine Deindustrialisierung zu verhindern, müssten die Energiekosten dauerhaft und wirksam begrenzt werden. Langfristig sei dies nur durch eine kraftvolle Energiewende hin zu regenerativen Energien möglich. "Wir brauchen deshalb massive Investitionen in die ökologische Transformation der Wirtschaft, in die Digitalisierung unserer Gesellschaft und in die Infrastruktur", sagte der DSGV-Präsident. Dazu sei die Mobilisierung erheblichen privaten Kapitals erforderlich.

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January 18, 2023 05:00 ET (10:00 GMT)