2017 wuchs das Bruttoinlandsprodukt mit 2,2 Prozent so stark wie seit sechs Jahren nicht mehr und damit bereits das achte Mal in Folge. Dafür sorgten der steigende Konsum, Exporterfolge, Bauboom und stärker investierende Unternehmen. Der Aufschwung zahlt sich für den Staat aus: Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung nahmen 38,4 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgaben. Einen so hohen Überschuss hat es seit der Wiedervereinigung noch nicht gegeben. Experten sagen für die kommenden Jahre ähnlich gute Zahlen voraus, warnen aber vor Risiken und raten zu Reformen.

"Deutschland geht es gut - sehr gut sogar", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, zu den am Donnerstag vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten. Dem Münchner Ifo-Institut zufolge dürfte das Wachstum in diesem Jahr mit 2,6 Prozent sogar noch etwas stärker ausfallen. "Wir sind auf dem Weg in die Hochkonjunktur", sagte Ifo-Chefvolkswirt Timo Wollmershäuser.

Sorgen vor einer Überhitzung - bei der die Preise immer kräftiger steigen - machen sich die meisten Experten derzeit nicht. "Das Wort Überhitzung suggeriert, als wären wir auf dem Höhepunkt der Konjunktur, kurz bevor sie abbricht", sagte der Experte des Statistikamtes, Albert Braakmann. "Das kann ich nicht erkennen, und das hat von den Konjunkturforschern auch niemand gesagt." Einige Unternehmen arbeiteten aber an der Kapazitätsgrenze. "Es kann natürlich in bestimmten Branchen etwas klemmen", räumte Braakmann ein.

"UNS GEHEN DIE ARBEITSKRÄFTE AUS"

Die Unternehmen stecken deshalb mehr Geld in Ausrüstungen wie Maschinen, Anlagen und Fahrzeuge: Diese Investitionen zogen um 3,5 Prozent an. Angesichts der Rekordbeschäftigung und höherer Reallöhne wuchs der private Konsum um 2,0 Prozent und erwies sich damit laut Braakmann als "treibende Kraft". Auch die Exporte zogen mit 4,7 Prozent kräftig an, wobei vor allem die Geschäfte mit den USA, China und den anderen Euro-Staaten brummten.

Um das Konjunkturhoch auch nach dem Ende des Jahrzehnts zu halten, fordern Experten rasch Reformen. "Die Situation wird nicht lange so günstig bleiben, wie sie es im Moment ist", mahnte der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Ferdinand Fichtner. "Uns gehen in Deutschland allmählich die Arbeitskräfte aus." Die Politik muss alles daran setzen, so viele Menschen so produktiv wie möglich in Arbeit zu bringen. "Gute Bildungschancen und eine moderne Infrastruktur sind daher das Gebot der Stunde", sagte Fichtner.

Geld dafür ist vorhanden angesichts der enormen Überschüsse, die nach Expertenprognosen in den kommenden beiden Jahren ähnlich hoch ausfallen dürften. Steuern und Sozialbeiträge wuchsen wegen der guten Binnenkonjunktur, Rekordbeschäftigung und höheren Löhnen mit 4,2 Prozent schneller als die Ausgaben mit 3,4 Prozent. Allerdings: Ohne die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hätte das Ergebnis wohl anders ausgesehen. "Ohne die starke Entlastung durch die Niedrigzinsen wäre wohl doch ein Defizit herausgekommen", sagte der Deutschland-Chefvolkswirt der Großbank UniCredit, Andreas Rees.

Durch die extrem lockere EZB-Geldpolitik - sie kauft seit 2015 für mehr als zwei Billionen Euro Staatsanleihen der Euro-Länder auf - wird das Zinsniveau extrem gedrückt. Der Bund genießt als Schuldner aber auch einen hervorragenden Ruf bei Investoren, weshalb Bundesanleihen nahezu den Status von Bargeld haben. Investoren sind oftmals bereit, auf Zinsen zu verzichten. Berechnungen der Bundesbank sparte Deutschland allein 2016 etwa 47 Milliarden Euro an Zinskosten.

Wie zusätzliche finanzielle Spielräume durch die hohen Steuereinnahmen genutzt werden sollen, ist ein Streitpunkt bei den Sondierungen zwischen Union und SPD zur Bildung einer neuen Bundesregierung. Bereits zu Beginn der Gespräche hatten sich die Finanzexperten darauf verständigt, dass man von einem zusätzlichen Spielraum von 45 Milliarden Euro bis 2021 ausgehe - etwa für Steuersenkungen. An einem ausgeglichenen Bundeshaushalt soll aber festgehalten werden.[nL8N1P61YM]