Umwälzung bei der Rekrutierung von Fachkräften für Finanzmarktgeschäfte


Um von den besten Investmentfonds der Welt eingestellt zu werden, haben Experten im Bereich Datenerfassung und -analyse (Data Scientists) heutzutage bessere Karten als reine Finanzexperten.
Ebenso treten an Stelle der Trader zunehmend Telekommunikationsingenieure – „Bandbreitenspezialisten“ – oder Experten für algorithmische Verschlüsselung, die zudem auch nur einen Bruchteil des Gehalts eines Traders kosten. Darauf setzen seit über einem Jahrzehnt die weltweit 10 größten Banken – und stehen damit nicht alleine da (in den vergangenen 10 Jahren ist die Anzahl der von den Banken beschäftigten Tradern um 30% zurückgegangen, dieser Rückgang wurde größtenteils durch einen deutlichen Anstieg der Anzahl von Fachingenieuren ausgeglichen). Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen.

Bis zu 70 % des Börsenhandels wird von Algorithmen generiert


Nach einer Studie der European Securities and Markets Authority (ESMA) wird annähernd 45 % des Handelsvolumens an den europäischen Börsen durch die vom Hochfrequenzhandel genutzten Algorithmen erzeugt. Dies entspricht zwischen 50 und 70 % der auf den europäischen Märkten getätigten Orders. An der Wall Street liegt der Wert sogar deutlich höher, dort machen sie 70 % der Orderanzahl aus.
Neben der oft angeführten Bereitstellung von Liquidität sorgen diese von Algorithmen generierten Volumina vor allem für Instabilität (Volatilität). Das beste Beispiel hierfür ist der Flashcrash vom 6. Mai 2010: Zwischen 14:41 und 14:45 Uhr und 28 Sekunden brachen die amerikanischen Aktien um fast 10 % ein, und mehrere US-amerikanische Blue Chips verloren bis zu 99 % ihres Wertes, beispielsweise fiel der Kurs von Accenture auf 1 Cent, bevor er in der folgenden Viertelstunde gleich wieder ebenso steil stieg. Wenn man der offiziellen Version zur Ursache des Flashcrash Glauben schenken mag, lag die Ursache für diese historische Kursbewegung in einem ungünstigen Marktumfeld. Allerdings suggerieren viele Experten, dass das Aussetzen verschiedener Algorithmen die Situation drastisch verschlechterte, weil der Markt plötzlich nicht mehr mit Liquidität versorgt werden konnte. 


Die neue Funktionsweise der Märkte stellt eine große Gefahr ihre Verlässlichkeit sowie ihre allgemeine Transparenz dar


Zahlreiche Strategien, die diese Algorithmen „lenken“, beeinträchtigen die Markttransparenz. Die Orderbücher, in denen Kauf- und Verkauforders dargestellt werden, spiegeln nicht mehr die wirklichen Absichten der Handelsteilnehmer wider. Vielmehr haben viele Algorithmen die Absicht, den „Markt hinsichtlich ihrer wahren Absichten zu täuschen“, indem sie künstlich den Eindruck einer Kauf- oder Verkaufskraft erwecken. Somit können Kurse beeinflusst werden. Viele Experten verwenden in diesem Zusammenhang sogar den Begriff „Manipulation“.

Im Jahr 2015 hat die französische Finanzmarktbehörde (AMF) einen amerikanischen Hochfrequenzhändler, die auf Hochfrequenzhandel spezialisierte Trading-Gesellschaft Virtu (früher MTR Madison Tyler Europe), sanktioniert. Diese Sanktion stellt einen Präzedenzfall dar, denn
„Kursmanipulation“ wird extrem selten sanktioniert, denn sie ist äußerst schwer nachzuweisen. Auch die Höhe des Bußgeldes war bemerkenswert: Allerdings basierte die Strafzahlung von 5 Mio. € in erster Linie auf dem Nachweis der geheimen Absprache mit dem Betreiber der Pariser Börse Euronext. Virtu wird darüber hinaus vorgeworfen, in 32 Sitzungen (vom 21. Juli bis zum 2. September 2009) den Markt in kurzen Intervallen mit Orders für 27 Titel aus dem französischen Aktienindex CAC40 überschwemmt zu haben, die unmittelbar darauf wieder storniert wurden. Durch dieses Vorgehen sollte das Orderbuch für die anderen Akteure verfälscht und der Markt destabilisiert werden, so dass Virtu diese Situation zu seinem Vorteil nutzen könne. Die Euronex hatte Virtu überdies einen finanziellen Vorteil eingeräumt, indem sie die zahlreichen stornierten Orders nur teilweise in Rechnung stellte.
Die AMF wirft Euronext vor allem vor, Virtu einen Vorteil gewährt zu haben von dem die anderen Marktteilnehmer nicht in Kenntnis gesetzt wurden – was gegen das Prinzip der Gleichbehandlung der Mitglieder verstösst. Euronext soll es Virtu so ermöglicht haben, eine Kursmanipulationsstrategie zu implementieren, die ohne diesen „Kulanz-Nachlass“ des Aufpreises nicht rentabel gewesen wäre.

Dieses Urteil der französischen Finanzaufsichtsbehörde von 2015 wird – leider – wahrscheinlich ein Einzelfall bleiben, angesichts der geringen Mittel, die ihr (wie auch den anderen Aufsichtsbehörden) zur Verfügung stehen, sowie der zunehmenden Komplexität der Funktionsweise der Algorithmen.

Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz bzw. die Einführung von autonomen Algorithmen


Künstliche Intelligenz (KI) ist die Wissenschaft, die zum Ziel hat, von einer Maschine Aufgaben ausführen zu lassen, die der Mensch mithilfe seiner Intelligenz vollbringt.
Künstliche Intelligenz ist entwicklungsfähiger als „einfache“ Algorithmen und stellt den nächsten, bereits eingeleiteten Schritt hin zum Ende jeglicher menschlicher Beteiligung am Marktgeschehen dar. Bei diesem Ansatz sind den Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt.

Im Rahmen der künstlichen Intelligenz führt die Maschine nicht nur extrem schnell und effizient „menschliche Befehle“ aus, sondern sie reagiert auf den Markt und entwickelt dabei ihre eigene Autonomie, die sie dann in Entscheidungen umsetzt. 
Als Teil ihrer „Digitalisierungsstrategien“ investieren die Banken massiv in künstliche Intelligenz.

Zu Beginn dieses Jahres erreichte die künstliche Intelligenz einen neuen Meilenstein: Ein Computerprogramm namens Libratus besiegte vier professionelle Pokerspieler in einem fast 20 Tage dauernden Turnier. Nach insgesamt ca. 120.000 Runden hatte Libratus, entwickelt von Forschern der amerikanischen Universität Carnegie Mellon, 1.766.250 (selbstverständlich virtuelle) Dollar angehäuft und gegen vier der besten Pokerspieler der Welt einen deutlicher Sieg eingefahren.


Poker gegen Menschen stellte für Maschinen bislang eine Herausforderung dar, denn es hat die Besonderheit, im Gegensatz zu den klassischen Brettspielen, dass keine vollständigen Informationen zur Verfügung stehen, d.h. man weiß nicht, was die jeweiligen gegnerischen Spieler auf der Hand haben. Außerdem kann man bei der beliebten „no limit“-Variante beliebig viel Geld setzen, was die Berechnung für die Maschine erheblich verkompliziert.

Nach mehreren Misserfolgen haben die Forscher ihr Programm entscheidend verbessert. Sie liessen es zahlreiche Partien gegen sich selbst spielen und daraus lernen. Libratus hat sich somit zu Beginn nicht mithilfe vergangener menschlicher Spiele verbessert, im Gegensatz zu AlphaGo (dem gescheiterten Vorgängerprogramm).


In dem Programm erarbeiten mehrere Algorithmen Strategien in Abhängigkeit von den ausgegebenen Karten, andere wiederum versuchen, die Aktionen und die Fehler der Gegner zu verstehen, z. B. um zu entscheiden, ob geblufft werden muss und wann.

Die Bedeutung dieser Algorithmen liegt darin, dass sie nicht allein fürs Pokern bestimmt sind. Sie könnten in vielen Situationen zum Einsatz kommen, in denen eine Entscheidung getroffen werden muss, ohne dass alle Elemente bekannt sind –und genau das trifft auf die Börse und die Finanzmärkte allgemein zu. Das Potential ist beachtlich, so dass zu erwarten ist, dass künstliche Intelligenz die Funktionsweise der Märkte in Zukunft noch mehr umzukrempeln wird.