BERLIN (Dow Jones)--Die hohen Inflationsraten führen in Deutschland zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheiten. Besonders Familien mit niedrigem Einkommen leiden laut einer aktuellen Untersuchung unter der hohen Inflation. Die geringste Belastung erleben hingegen Alleinlebende mit hohen Einkommen, so das Ergebnis des Inflationsmonitors des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Insgesamt seien in Folge des Ukraine-Kriegs und von weiterhin durch die Corona-Pandemie angespannten Lieferketten die Verbraucherpreise für alle Haushalte im Mai so stark wie seit der Ölkrise der 1970er Jahre nicht mehr angestiegen.

"Die Schere bei den Belastungen hat sich noch einmal deutlich geöffnet", erklärte das Institut. Die Unterschiede bei den Verbraucherpreisen seien "je nach Haushaltskonstellation und Einkommen erheblich und sozial hoch problematisch". Mit 2,4 Prozentpunkten zwischen ärmeren Familien und wohlhabenden Alleinlebenden sei die Differenz im Mai deutlich größer als in den Vormonaten und dreimal so hoch wie im Februar gewesen.


Inflation für ärmere Familien bei 8,9 Prozent 

Gemessen an den für diese Haushaltstypen repräsentativen Warenkörben sind laut der Untersuchung die Preise im Mai 2022 um 8,9 Prozent für Familien mit niedrigem Einkommen bzw. um 6,5 Prozent für Alleinlebende mit hohem Einkommen gestiegen, während der Wert über alle Haushalte hinweg bei 7,9 Prozent lag. Ursache für die unterschiedliche Entwicklung sei, dass die stärksten Preistreiber - Haushaltsenergie, Kraftstoffe und zunehmend Lebensmittel - unterschiedlich stark durchschlagen.

Auch für Alleinlebende mit höheren und mit mittleren Einkommen lagen die Raten mit 7,6 und 7,7 Prozent im Mai leicht unterhalb der allgemeinen Preissteigerung. Die Preissteigerung bei Alleinlebenden mit niedrigem Einkommen lag mit 7,8 Prozent nahe am Durchschnitt. Dagegen sind auch Alleinerziehende und Familien mit zwei Kindern und jeweils mittleren Einkommen etwas überdurchschnittlich von der Teuerung belastet: Für diese Haushalte betrug die Inflationsrate im Mai 8,2 Prozent.

Bei Familien mit höherem Einkommen verteuerte sich der haushaltsspezifische Warenkorb weniger stark - um 7,6 Prozent. Die haushaltsspezifische Inflationsrate für kinderlose Paare mit mittlerem Einkommen liegt aktuell bei 7,9 Prozent. "Der Preisanstieg bei Wohnenergie belastet Haushalte mit geringeren Einkommen überproportional und auch die Verteuerung der Nahrungsmittel schlägt sich stärker nieder", erklärten IMK-Direktor Sebastian Dullien und IMK-Inflationsexpertin Silke Tober.


   Gasknappheit würde ärmere Haushalte besonders treffen 

Besonders stark dürfte dieser Anstieg nach Einschätzung der Experten ausfallen, falls die Bundesnetzagentur im Rahmen des "Notfallplans Gas" tatsächlich eine Knappheit bei den Gasimporten feststellen müsse und den Versorgern erlaubt, die gestiegenen Bezugspreise unmittelbar an die Verbraucher weiterzugeben. "In diesem Fall könnten kurzfristig sogar Inflationsraten im zweistelligen Bereich erreicht werden", sagten Dullien und Tober.

Besonders drastisch würde das wiederum Haushalte mit niedrigeren Einkommen treffen, weil Gas, Strom, Heizöl und Nahrungsmittel als Waren des Grundbedarfs bei ihren Ausgaben sehr stark ins Gewicht fallen, während sie bei Haushalten mit hohem Einkommen und insbesondere bei wohlhabenden Alleinlebenden einen deutlich kleineren Anteil des Warenkorbs ausmachen.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

DJG/aat/apo

(END) Dow Jones Newswires

June 27, 2022 03:36 ET (07:36 GMT)