Jerusalem/Gaza-Stadt (Reuters) - Israels Militär rechnet mit einem längeren Kampf gegen die radikal-islamische Hamas im palästinensischen Gazastreifen.

"Wir haben lange Wochen des Kampfes vor uns", sagte sein Sprecher Daniel Hagari am Dienstag. Zugleich versicherte Präsident Isaac Herzog anlässlich des Besuchs seines französischen Amtskollegen Emmanuel Macron in Jerusalem, Israel wolle keinen Krieg mit der Hisbollah-Miliz im Nachbarland Libanon. "Aber wenn die Hisbollah uns in einen Krieg hineinzieht, sollte klar sein, dass der Libanon den Preis zahlen wird." In der Nacht hatte das israelische Militär nach eigenen Angaben erneut Hamas-Ziele im Gazastreifen angegriffen. Nach palästinensischen Angaben wurden bislang über 5000 Menschen im Gazastreifen getötet. Beim Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober starben mehr als 1400 Menschen.

Bislang hat das Militär nur vereinzelt Infanteristen in den Gazastreifen geschickt. Eine größere Bodenoffensive könnte aber folgen. Für die nächste Phase des Krieges sei das Militär "bereit und entschlossen" und warte auf die Anweisungen der Politik, sagte Militärsprecher Hagari. Er fügte hinzu, dass bei den Verhandlungen über die Freilassung der über 200 von der Hamas gefangengenommenen Geiseln Ägypten eine Schlüsselrolle spiele. Die Freilassung habe für Israel oberste Priorität.

Die Hamas hatte am Montag weitere zwei Frauen aus gesundheitlichen Gründen aus der Geiselhaft entlassen. Beide gehörten zu den mehr als 200 Geiseln, die aus Israel in den Gazastreifen verschleppt worden waren. Die USA begrüßten den Schritt. Bereits am Wochenende hatte die Hamas eine Amerikanerin und ihre 17-jährige Tochter freigelassen. Es war der erste bestätigte Fall einer Freilassung. Macron sagte in Israel, es sei das erste Ziel, die von der Hamas verschleppten Menschen wieder freizubekommen. "Ich möchte, dass Sie sicher sein können, dass Sie in diesem Krieg gegen den Terrorismus nicht alleingelassen werden", sagte er an Präsident Herzog gerichtet. "Es ist unsere Pflicht, den Terrorismus zu bekämpfen, ohne Verwirrung und ohne eine Ausweitung dieses Konflikts."

Dies wird befürchtet, wenn die Hisbollah verstärkt in den Konflikt hineingerät. Die Hisbollah (Partei Gottes), die sowohl eine politische Bewegung als auch eine starke Miliz ist, steht an der Seite der Hamas und kontrolliert den Süden des Libanons. Von dort aus wurde wiederholt der Norden Israels beschossen. Im April hatte die israelische Armee als Vergeltung für Raketenangriffe Ziele auch im Südlibanon angegriffen. Sowohl die Hisbollah als auch die Hamas werden vom Iran unterstützt. Als Financier der Hamas gilt auch Katar, was das Golf-Emirat aber bestreitet. Beide radikalen Organisationen sprechen Israel das Existenzrecht ab. Die Hamas besteht aus einer politischen Partei, einem Hilfswerk, das etwa Schulen betreibt, und den paramilitärischen Al-Kassam-Brigaden. Seit 2007 bestimmt sie die Geschicke im Gazastreifen. Ein Jahr zuvor hatte es zum letzten Mal palästinensische Parlamentswahlen gegeben.

ISRAEL VERSTÄRKT KAMPF GEGEN HAMAS

Mehr als zwei Wochen nach dem überraschenden Angriff der Hamas-Kämpfer auf Israel verstärkt dessen Militär sein Vorgehen im Gazastreifen. In der Nacht seien dort mehr als 400 Ziele militanter Palästinenser angegriffen worden, teilte das Militär mit. Dutzende Hamas-Kämpfer seien getötet worden, darunter drei stellvertretende Bataillonskommandanten. Zu den getroffenen Zielen gehörten Kommandozentralen in Moscheen und ein Tunnel, der es der Hamas ermöglicht habe, vom Meer aus nach Israel einzudringen. Reuters konnte dies nicht sofort überprüfen.

Am späten Montagabend hatte der israelische Generalstabschef Hersi Halewi angedeutet, dass Israel nicht die Absicht habe, seine Angriffe einzudämmen. "Wir wollen die Hamas vollständig zerschlagen", erklärte er. "Wir sind gut auf die Einsätze am Boden im Süden vorbereitet", fügte er hinzu und bezog sich dabei auf den Süden Israels, der an den Gazastreifen grenzt.

Mit der Lage im Nahen Osten befasst sich am Dienstag auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN). Unklar war allerdings, ob eine Entscheidung getroffen wird und wenn ja, welche. Neben der Sicherheitslage dürfte auch die Versorgung der Zivilbevölkerung Thema sein. In dem knapp 45 Kilometer langen und maximal 14 Kilometer breiten Gazastreifen leben dicht gedrängt rund 2,3 Millionen Menschen. Ringsum ist das Gebiet mit einem mehrere Meter hohen Sicherheitszaun abgeriegelt. Israel hat die Versorgung unmittelbar nach dem Hamas-Angriff gekappt, einige Erleichterungen wie teilweise Wasserversorgung gibt es inzwischen wieder. Der Küstenstreifen am Mittelmeer grenzt an Israel und im Süden an Ägypten. Dort wurden über den Grenzübergang Rafah die ersten Hilfslieferungen zu den Palästinensern gebracht.

International gibt es Forderungen nach deutlich stärkerer Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Auch der Ruf nach einer Feuerpause wird lauter. Allerdings halten unter anderem die USA die Zeit für eine Waffenruhe nicht für gekommen. "Wir glauben nicht, dass jetzt die Zeit für eine Waffenruhe ist", sagte der Nationale Sicherheitsberater John Kirby. "Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Sie haben noch viel zu tun, um die Hamas-Führung zu verfolgen."

(Mitarbeit: Henriette Chacar, Crispian Balmer; geschrieben von Sabine Ehrhardt, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

- von Nidal al-Mughrabi und Ari Rabinovitch