Frankfurt (Reuters) - Lettlands Notenbankchef Martins Kazaks hat Marktspekulationen auf mögliche Zinssenkungen der EZB noch in diesem Jahr eine Absage erteilt.

"Es bräuchte eine tiefe Rezession mit einem beträchtlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit, um die Inflation zu senken und damit Zinssenkungen anzustoßen", sagte das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) in einem am Freitag veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. "Angesichts der derzeitigen Konjunkturaussichten ist dies jedoch unwahrscheinlich." Kazaks zufolge ermangelt solchen Annahmen die Begründung.

Die EZB hatte im Kampf gegen die hochschießende Inflation im Euroraum im Sommer die Zinswende vollzogen und seitdem die Schlüsselsätze in rascher Abfolge vier Mal um insgesamt 2,50 Prozentpunkte angehoben. Der Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten und der aktuell am Finanzmarkt der maßgebliche Zins ist, liegt aktuell bei 2,00 Prozent. Am Geldmarkt gehen Investoren derzeit davon aus, dass die Euro-Notenbank den Satz bis zum Sommer um weitere 1,50 Prozentpunkte anheben wird. Allerdings wird dann bereits auf eine Kursänderung gegen Ende des laufenden Jahres und im Jahr 2024 gesetzt.

Aus Sicht von Kazaks sollten die Zinsen weiter steigen, um die ausufernde Inflation einzudämmen. Diese lag im Dezember bei 9,2 Prozent - das ist mehr als viermal so hoch wie das Ziel der EZB von zwei Prozent. Kazaks zufolge müssen die Zinsen "deutlich in den restriktiven Bereich" angehoben werden. Darunter verstehen Volkswirte ein Zinsniveau, das eine Wirtschaft bremst. Die meisten Ökonomen siedeln es beim Einlagensatz derzeit oberhalb des aktuellen Niveaus von zwei Prozent an.

Die Inflation war im vergangenen Monat vor allem aufgrund eines Rückgangs der Energiepreise und des Sachverhalts gesunken, dass in Deutschland die Regierung für die Gasabschlagszahlung vieler Haushalte aufgekommen ist. Die sogenannte Kerninflation, in der die schwankungsreichen Preise für Energie und Lebensmittel, Alkohol und Tabak ausgeklammert bleiben, erhöhte sich dagegen sogar im Dezember auf 5,2 Prozent von 5,0 Prozent im November.

BLICK AUF DIE KERNINFLATION

Aus Sicht von Kazaks ist die Kerninflation ein Inflationsmaß, auf das geachtet werden sollte. "Es ist möglich, dass die Kerninflation weiter ansteigt, auch wenn die Gesamtinflation sinkt, zum Beispiel aufgrund von Schwankungen der Energiepreise", führte er aus. "Meiner Ansicht nach ist die Kerninflation derzeit eine wichtige Messgröße für die Dauer der Inflation und für geldpolitische Entscheidungen."

Bei welchem Niveau die Zinsen voraussichtlich ihren Gipfel erreichen sollten, sagte Kazaks nicht. "Die Unsicherheit ist zu groß und wir werden das Schritt für Schritt herausfinden", merkte er an. Auf ihrem Zinserhöhungskurs hat die EZB zuletzt im Dezember den Fuss etwas von Gas genommen. Nach zwei Jumbo-Schritten um jeweils 0,75 Prozentpunkte erhöhte sie diesmal die Sätze um 0,50 Prozentpunkte. Notenbankchefin Christine Lagarde stellte zudem weitere Zinsanhebungen im Umfang von jeweils 0,50 Prozentpunkten auf den nächsten Zinssitzungen in Aussicht. Seitdem schießen die Spekulationen ins Kraut, bis auf welches Niveau die EZB die Schlüsselsätze wohl noch anheben wird.

(Bericht von Francesco Canepa. Bearbeitet von Frank Siebelt. Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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