Börsen-Zeitung: Winkelzüge / Kommentar von Michael Flämig zum Ringen
um die Zugfusion von Siemens und Alstom
   Frankfurt (ots) - Berliner und Pariser Politiker, EU-Bürokraten, 
Unternehmenslobbyisten, Kartellbehörden, nationale Parteien und 
mittlerweile sogar Stammtische: Alle beteiligen sich an der   
Diskussion  über die   Fusion der Siemens-Bahntechnik mit dem 
Konkurrenten Alstom. Die Debattenteilnehmer bringen sehr  
gegensätzliche  Interessen ein. Nicht einmal die Vertreter der  
Fusionspartner und beider beteiligten Länder scheinen immer an einem 
Strang zu ziehen. Die Lage wird unübersichtlich. Was hat über den Tag
hinaus Bestand?

   Die Werthaltigkeit des modifizierten Angebots von Siemens und 
Alstom lässt sich nur eingeschränkt beurteilen. Die Partner können 
sich zugutehalten, dass sie durch die offerierten Verkäufe auf die 
Hälfte ihrer künftigen Umsatzsteigerungen in der Signaltechnik 
verzichten. Außerdem machen sie mit der langfristigen Lizenzierung 
der Hochgeschwindigkeitszugs-Technologie ein so gutes Angebot an die 
Konkurrenten, dass es bereits Kaufinteressenten gibt.

   Das Duo ist der EU-Kommission trotzdem nur einen kleinen Schritt 
entgegengekommen. Denn das ökonomische Kalkül der Fusion wollen 
Siemens und Alstom nicht riskieren. Brüssel hat jedoch weit 
umfangreichere Zugeständnisse verlangt, damit die Fusion freigegeben 
wird. Das modifizierte Angebot wird den Deal also kaum retten.

   Der aktuelle Kampf geht demnach nur noch scheinbar um die Frage, 
ob die Siemens-Sparte mit Alstom fusionieren darf. Die Kontrahenten 
versuchen vielmehr, sich jeweils den Schwarzen Peter für ein Verbot 
unterzuschieben. Die EU-Kommission insinuiert, das Duo habe zu spät 
und zu wenig angeboten. Die Unternehmen und vor allem die Politik 
ventiliert, die Kommission sei naiv und schade Europa im Wettbewerb 
mit China.

   Nun könnte man über derlei Winkelzüge lachen, wenn es nur darum 
ginge, wer am Schluss seine Ehre bewahrt. Es steht aber mehr auf dem 
Spiel: das Wettbewerbsrecht. Wenn sich in der Öffentlichkeit der 
Eindruck durchsetzt, dass Europa sich nur mit eigenen Champions auf 
dem Weltmarkt gegen das staatsgelenkte China und das 
interventionistische Trump-Amerika durchsetzen kann, dann ist der 
Boden bereitet für eine Überarbeitung der Vorschriften.

   Siemens und die deutsche sowie französische Politik haben aus 
ihrer Sicht einen guten Zeitpunkt gefunden für die Debatte. Die 
Europawahl im Mai wird eine neue Kommission bringen, die ihre eigenen
Regeln definiert. Mit  Manfred Weber (CSU) hat sich bereits ein 
Politiker für ein Umdenken im Kartellrecht ausgesprochen, der künftig
eine bestimmende Rolle in dieser Kommission spielen könnte.

   (Börsen-Zeitung, 29.01.2019)

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