Übers Ziel hinaus / Kommentar über die Wirkung neuer Chip-Subventionen
von Stefan Kroneck
Frankfurt/M. (ots) - Es ist ein gewohntes Bild: Wenn der Staat großzügig
öffentliche Gelder für Industrievorhaben zur Verfügung stellt, stehen die
Unternehmen Schlange. So auch im Fall der Chipindustrie, die seit Monaten wegen
der weltweiten Knappheit an Halbleitern für Schlagzeilen sorgt. Die Führung des
taiwanesischen Auftragsfertigers TSMC erwägt den Bau einer Fabrik in
Deutschland. Intel, die Nummer 1 der Branche, plant gleich mehrere neue
Standorte in der EU. Pat Gelsinger, der CEO des US-Konzerns, bevorzugt laut
Medienberichten dabei ebenfalls die größte Volkswirtschaft der Gemeinschaft.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und EU-Binnenmarktkommissar Thierry
Breton dürften sich angesichts der Nachfrage dieser hochkarätigen Adressen
geschmeichelt fühlen, stößt doch ihre Initiative zur Stärkung der
westeuropäischen Chipindustrie offensichtlich auf offene Ohren. Wer mit
Subventionen im Milliardenumfang wirbt, sollte sich aber nicht wundern, wenn
auch Unternehmen aus Drittstaaten angelockt werden, die man vermutlich nicht als
Kernzielgruppe öffentlicher Mittel auf dem Radar hat.

Nun testen TSMC und Intel den vermeintlichen Handlungsbedarf von
Spitzenpolitikern auf dem Alten Kontinent aus, um sich ein Stück vom großen
Kuchen zu sichern: der Bau neuer Werke gegen die Zusage, dass sich der Staat an
den Investitionen mit hohen Anteilen beteiligt. Ein Kampf um die
Subventionstöpfe in Europa für die Chipbranche ist entbrannt.

Die Industriepolitik nach Altmaiers und Bretons Couleur hat ihre Schattenseiten.
Ungeachtet des Risikos von Fehlanreizen, wenn es generell um die Verteilung von
Staatsgeldern geht, birgt das Timing darüber hinaus die Gefahr, dass man in
Berlin und Brüssel weit über das Ziel hinausschießt. Angesichts der
derzeitigen
Mangelware Chips wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass mit dem Bau neuer
Fertigungsstätten in Europa der Missstand rasch beseitigt werden könnte, statt
dies den freien Marktkräften zu überlassen.

Das ist ein Trugschluss. Denn die Planung und Errichtung neuer Standorte dauert
mindestens drei Jahre. Kenner erwarten, dass die Lieferengpässe 2022 weitgehend
beseitigt sind. Mit anderen Worten, es wird der Aufbau von Kapazitäten
gefördert, die später gar nicht mehr benötigt werden. Gigantische
Überkapazitäten im schwankungsanfälligen Chipgeschäft sorgen für
einen
schädlichen Schweinezyklus. Ein Abschwung droht. Das Nachsehen hätte nicht nur
die dafür verantwortliche Politik, sondern vor allem der Halbleitersektor
selbst.

(Börsen-Zeitung, 27.07.2021)

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