FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Inflation in Deutschland ist zu Beginn des neuen Jahres nur etwas unter die Marke von 5 Prozent gesunken. Im Januar lag die Teuerungsrate bei 4,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte. Analysten hatten im Schnitt einen deutlich geringeren Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat von 4,4 Prozent erwartet. Im Dezember hatte die Teuerungsrate noch bei 5,3 Prozent gelegen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) verweist seit längerem auf coronabedingte Sondereffekte. Sie hat zwar einen Ausstieg aus ihren Anleihekäufen zur Stützung der Konjunktur eingeläutet. Eine Leitzinsanhebung in der Eurozone ist allerdings im Gegensatz zu den USA noch nicht in Sicht. Stimmen von Ökonomen im Überblick:

Ulrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank:

"Die Serie an negativen Inflationsüberraschungen reißt nicht ab. Erst wurde der Anstieg der Inflation unterschätzt, jetzt wird der Rückgang überschätzt. Die Inflationsraten in Deutschland werden zwar im Jahresverlauf weiter sinken, sie werden aber wohl das ganze Jahr über zwei Prozent bleiben. Je länger sich diese hohen Inflationsraten festsetzen, desto stärker werden sich Wirtschaft und Finanzmärkte an ihnen orientieren und die Inflation dauerhaft machen."

Marco Wagner, Volkswirt Commerzbank:

"Wir gehen davon aus, dass der Rückgang der Inflationsrate im Januar alleine darauf zurückzuführen ist, dass die temporäre Senkung der Mehrsteuer in der zweiten Jahreshälfte 2020 den Vorjahresvergleich nicht mehr beeinflusst. Ohne diesen Effekt wären die Raten im Januar nach unserer Schätzung sogar erneut leicht gestiegen. (...) Im Jahresverlauf dürfte der Preisdruck zwar allmählich nachlassen, insbesondere wenn sich die Material- und Lieferprobleme entspannen werden. Allerdings dürfte bis in den Herbst und auch beim Jahresdurchschnitt bei der Inflationsrate eine 4 vor dem Komma stehen.

Jens-Oliver Niklasch, Volkswirt Landesbank Baden-Württemberg:

"Schon wieder eine Inflationszahl, die über Erwartungen liegt. Mit dem Wegfall des Effektes aus der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer hätte der Rückgang eigentlich ausgeprägter sein müssen. Aber durch den Anstieg der Preise für Haushaltsenergie gab es nur einen vergleichsweise moderaten Rückgang der Inflation. Betrachtet man dazu die Ölpreisentwicklung am aktuellen Rand, wird zusehends unwahrscheinlicher, dass die Inflation bis Ende des Jahres auf ein für die Geldpolitik akzeptables Niveau fällt. Anders gewendet: Wir reden jetzt schon über hohe Inflation im Jahr 2023. Diese Zahlen werden im EZB-Rat in der anstehenden Sitzung für Diskussionen sorgen, zumal auch die Daten aus Spanien und Belgien deutlich höher lagen als gedacht."

Friedrich Heinemann, Ökonom ZEW:

"Die Hoffnung auf ein deutliches Absacken der Inflation zum Jahresbeginn hat sich nicht erfüllt. Das war bereits seit einigen Monaten absehbar. Zwar ist die höhere Mehrwertsteuer ab Januar 2021 nun aus dem Vor-Jahresvergleich herausgefallen. Diesem preisdämpfenden Basiseffekt steht aber der sehr starke Anstieg der Strom-, Gas- und Benzinpriese gegenüber. Dieser heizt die Inflation nun weiter an. Der so ausgelöste Preisdruck wird anhalten, weil Unternehmen die viel höheren Beschaffungskosten nun kontinuierlich über Preisanpassungen an die Endverbraucher weitergeben werden. Das Jahr 2022 hat inflationär begonnen und wird es bleiben. Wenig inflationär sind demgegenüber die aktuellen Lohnabschlüsse."

Thomas Gitzel, Chefökonom VP-Bank:

"EZB-Chefin Christine Lagarde dürfte heute ein Stein vom Herzen fallen. Der Rückgang der Inflationsraten wird innerhalb der EZB flehentlich herbeigesehnt. (...) Zwar fällt der Teuerungsrückgang etwas geringer aus als Volkswirte erwartet hatten, doch immerhin stimmt die Richtung und das ist dabei entscheidend."

Ralf Umlauf, Volkswirt Helaba:

"Zwar wirken die Basiseffekte aufgrund der Steuererhöhung zu Beginn des letzten Jahres dämpfend auf das Inflationsgeschehen, die Jahresrate kommt aber deutlich schwächer zurück als erwartet, denn die Auftriebskräfte vor allem bei Gas und Strom sowie Nahrungsmitteln kompensieren dies zu einem großen Teil. Die Zahlen liegen insgesamt deutlich höher als erwartet und auch in Spanien fiel der Rückgang der Inflation enttäuschend aus. Die Teuerung erscheint damit hartnäckiger als zunächst gedacht und so steht die EZB unter Druck, doch noch schneller zu reagieren. Auf jeden Fall dürften die Notenbanker am Donnerstag in Erklärungsnöte kommen."

Nils Jannsen, Leiter Konjunktur Deutschland IfW Kiel:

"Der Druck auf die EZB nimmt zu, ihren geldpolitischen Kurs zu ändern. Zwar kann sie mit ihrer neuen geldpolitischen Strategie Inflationsraten von über 2 Prozent für einige Zeit tolerieren. Auch sind die jüngsten Inflationsschübe vor allem durch die Pandemie verursacht und dürften nachlassen, sobald deren wirtschaftlichen Auswirkungen weitestgehend ausgestanden sind. Allerdings drohen die Inflationserwartungen umso stärker zu steigen, je länger die Inflation auf erhöhtem Niveau verharrt. Im Ergebnis würde sich die hohe Inflation verfestigen. Zudem wird der Inflationsdruck aufgrund des demographischen Wandels und der Dekarbonisierung wohl auch mittelfristig hoch bleiben."

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