Berlin (Reuters) - Die Bundesregierung will den Arbeitsmarkt so weit wie noch nie für Arbeitskräfte aus Staaten außerhalb der Europäischen Union (EU) öffnen.

Das Kabinett beschloss am Mittwoch Eckpunkte für eine Reform des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes im kommenden Jahr. Dabei geht es nicht nur um anerkannte Fachkräfte. Die Eckpunkte mit 23 Seiten sehen auch eine "Chancenkarte zur Arbeitssuche" vor, die auf einem neuen Punktesystem und nicht allein auf Qualifizierung beruht. Neue Zuwanderungsmöglichkeiten soll es auch für ungelernte Arbeitskräfte geben, wenn dafür in bestimmten Branchen ein Bedarf gesehen wird. In der Wirtschaft werden die Eckpunkte überwiegend begrüßt.

"Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung", sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dessen Ressort sich federführend mit vier weiteren Ministerien auf die Eckpunkte verständigt hatte. Er verwies auf Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre im Jahr 2035 etwa sieben Millionen Menschen weniger für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könnten. "Wir werden alle Register ziehen, die Potenziale im Inland zu heben", sagte Heil. Etwa bei der Ausbildung, der Weiterbildung, einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen, auch einer stärkeren Einbeziehung von behinderten Menschen. All das werde aber nicht reichen: "Wir brauchen ergänzend qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland."

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach vom modernsten Gesetz Europas zur Fachkräfte-Einwanderung. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unterstrich: "Es ist ein Gesetz, das nach vorne weist, das offensiv ist, das offensiv für eine Gesellschaft der Vielen wirbt." Bei IT-Spezialisten gebe es 100.000 offene Stellen, im Bereich von Solar- und Windenergie seien es über 200.000: "Ohne weitere Fachkräfte werden wir wirtschaftspolitisch nicht vorankommen."

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sprach von einer "längst überfälligen" Reform, die erstmals Arbeits-Zuwanderung in nicht-reglementierte Berufe auch ohne vorherige Qualifikations-Anerkennung ermögliche. Auch für Studierende und Ausbildungssuchende werde die Zuwanderung erleichtert. An den Eckpunkten beteiligt war auch das Auswärtige Amt, das laut Heil daran arbeitet, die Visavergabe zu beschleunigen, damit die Einreise zur Arbeit nicht am fehlenden Visum scheitert.

AMPEL-KOALITION SETZT AUF DREI SÄULEN

Die Fachkräfte-Einwanderung soll laut Koalition auf drei Säulen beruhen. Sie orientieren sich an der Anerkennung von akademischen und beruflichen Abschlüssen, an der Berufserfahrung - und am Potenzial möglicher Arbeitskräfte. Neu ist, dass anerkannte Fachkräfte nicht mehr nur in ihrem angestammten Beruf arbeiten dürfen: "Zukünftig wird eine anerkannte Qualifikation grundsätzlich zu jeder qualifizierten Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen berechtigen." Berufserfahrung soll noch stärker zur Einreise berechtigen, wenn mindestens zwei Jahre Erfahrung in dem Beruf, der ausgeübt werden soll, sowie ein Berufs- oder Hochschulabschluss vorliegen. Der Abschluss muss aber nicht in Deutschland anerkannt sein.

Neu ist auch eine Chancenkarte, die "Drittstaatsangehörigen mit gutem Potenzial einen Aufenthalt zur Suche eines Arbeitsplatzes ermöglichen" soll. Grundlage soll ein Punktesystem sein, zu dem Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören. Ungelernte Arbeitskräfte sollen einreisen dürfen, wenn die Bundesagentur für Arbeit (BA) in einer Branche einen akuten Mangel feststellt. Voraussetzung ist eine Bezahlung nach Tarif.

Wirtschaftsverbände und die BA begrüßten die Stoßrichtung der Eckpunke, während Kritik von CDU-Chef Friedrich Merz kam. "Wir brauchen mehr und schöpfen die Potenziale nicht aus", sagte Merz mit Blick auf die Fachkräfte-Zuwanderung im ZDF. Deutschland sei als Standort wegen der Bürokratie und hoher Steuern nicht attraktiv genug. "Das Potenzial auszuschöpfen, wäre der erste Schritt", sagte Merz. Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger bescheinigte der Ampel-Regierung indes, sie stelle die richtigen Weichen für Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Die BA verwies darauf, dass das Wachstum der Beschäftigtenzahlen in Richtung der Rekordmarke von 35 Millionen von ausländischen Beschäftigten getragen worden sei.

(Mitarbeit: Andreas Rinke; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

- von Holger Hansen