--BdB-Präsident erwartet keine Schwierigkeiten wegen US-Gewerbeimmobilien

--Sewing: Europäische Banken stabil, können mit Risiken in Bilanzen umgehen

--EU-Kommission soll bei Baseler Eigenkapitalregeln reagieren

(NEU: Weitere Aussagen)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Christian Sewing, hat die Politik zu einer deutlichen Beschleunigung der Pläne für eine europäische Kapitalmarktunion gedrängt. Die privaten Banken sähen neue Chancen für Fortschritte auf dem Weg zu gemeinsamen Finanzmärkten in Europa. "Die Kapitalmarktunion ist so weit oben auf der europapolitischen Agenda wie seit Jahren nicht - wir begrüßen das ausdrücklich", sagte Sewing anlässlich des 23. Deutschen Bankentages in Berlin. Diese Chance für die europäische Wirtschaft gelte es nun zu nutzen: "Das Thema darf nach den Europawahlen nicht wieder in den Hintergrund treten", forderte er. "Vielmehr setzen wir darauf, dass nun tatsächlich zwei Gänge höher geschaltet wird."

Nach Ansicht des Bankenverbands schöpfe der Kontinent das Potenzial des gemeinsamen europäischen Marktes immer noch nicht voll aus. Dabei sei die strategische Souveränität Europas eng mit der finanziellen Souveränität verknüpft. Die Bankenunion und die Kapitalmarktunion hätten eine Schlüsselrolle inne, wenn die EU ihre wirtschaftlichen Stärken ausbauen wolle. Notwendig sei ein nachhaltig höheres Wachstum in Deutschland und Europa. "Die dafür nötigen Investitionen kann Europa ohne gut entwickelte Kapitalmärkte nicht bewältigen", betonte Sewing. Die Kapitalmarktunion wäre deshalb "eines der günstigsten Wachstumsföderungsprogramme überhaupt". Sie müsse ebenso wie eine weitere Integration der Finanzmärkte dringend vorangebracht werden.

Die Bankenbranche sei robust, stark kapitalisiert, und habe "ihre Risiken in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten umsichtig gesteuert", betonte Sewing. "Wir erwarten nicht, dass die Situation bei Gewerbeimmobilien in den USA den europäischen oder deutschen Bankensektor in Schwierigkeit bringen wird", hob er hervor. Die europäischen Banken seien stabil und könnten mit den Risiken in ihren Bilanzen umgehen, sagte der Vorstandschef der Deutschen Bank.


   Kein politischer Konsens für Reformen 

Mehr Grund zur Sorge lieferten die wirtschaftlichen Aussichten für den Standort Deutschland. Das Problem seien dabei nicht einige Quartale mit einer schwachen Konjunktur - "sondern die Tatsache, dass uns die Perspektive fehlt, wieder nachhaltig höhere Wachstumsraten zu erreichen". So bräuchte man etwa 2 Prozent Wachstum pro Jahr, damit das heutige Rentensystem bezahlbar bleibe. "Dafür brauchen wir grundlegende Reformen - doch ein politischer Konsens darüber ist nicht in Sicht", beklagte Sewing.

Die unterschiedlichen Auffassungen zur Zukunft der Schuldenbremse dürften nicht dazu führen, dass wichtige Vorhaben auf unbestimmte Zeit vertagt würden, mahnte der Bankenpräsident. In diesem Zusammenhang könnte der von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ins Spiel gebrachte Infrastrukturfonds, der sich überwiegend aus privaten Investitionen speisen solle, "ein ganz interessanter Ansatz sein".

Die Aufgabenliste für die Politik sei lang: "Wir brauchen möglichst rasch eine Entlastung bei den Unternehmenssteuern, sie sind im internationalen Vergleich viel zu hoch", forderte Sewing. Der Bürokratieabbau müsse noch sehr viel entschlossener vorangetrieben werden als bislang. Auch dürfe das Wachstumschancengesetz "nicht das letzte Wort gewesen sein", was die Rahmenbedingungen für Unternehmen angehe. Letztere brauchten Planungssicherheit, gerade auch was die Energiepreise betreffe. "Und es müssen Anreize geschaffen werden, damit Arbeit sich mehr lohnt und das inländische Arbeitsvolumen steigt. Die Rente mit 63 passt nicht mehr in unsere Zeit", meinte er.

Neben einem starken europäischen Binnenmarkt müsse die nächste EU-Kommission auch die Finanzmarktregulierung in den Blick nehmen, die in den vergangenen Jahren zunehmend komplexer, teurer und ausufernder geworden sei, forderte er. Das bestehende europäische Regulierungsrahmenwerk müsse daher überprüft werden. "Regeln müssten vereinfacht, Redundanzen beseitigt und Anforderungen an die Institute gesenkt werden, ohne Abstriche bei der Finanzstabilität zu machen," mahnte Sewing. Es gebe viel Raum für Erleichterungen.


   Brüssel soll bei Baseler Eigenkapitalregeln reagieren 

Wichtig seien zudem international vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Die europäischen Institute stünden in einem scharfen internationalen Wettbewerb. Deshalb sei es wichtig, dass sie regulatorisch nicht benachteiligt würden. Aktuell sei zu beobachten, dass die neuen Baseler Regelungen zur Eigenkapitalunterlegung von Handelsaktivitäten unterschiedlich schnell eingeführt werden könnten. In der EU sollten sie ab 1. Januar 2025 gelten, während die USA und Großbritannien sie erst später umsetzen würden. Zudem zeichneten sich dort auch inhaltliche Erleichterungen ab. "Die Verschiebung verschafft den dortigen Banken einen erheblichen Wettbewerbsvorteil im Kapitalmarktgeschäft", sagte Sewing. Die EU-Kommission müsse "darauf dringend reagieren".

Wolle Europa strategisch unabhängiger werden, brauche es nicht nur stabile, sondern auch ertragsstarke Banken, die sich im globalen Wettbewerb behaupten könnten. Hier hätten die europäischen Banken zwar zuletzt aufgeholt und bei der Profitabilität die Lücke zu den US-Wettbewerbern verkleinert. "Wir müssen den Sektor aber weiter stärken, um die Finanzierung unserer Wirtschaft zu verbessern - hier lassen wir noch viel zu viel Potenzial brachliegen." Die Banken würden außerdem "sehr genau hinsehen, was der digitale Euro an Kosten verursacht, wer sie tragen soll und vor allem, welche Konsequenzen er für die Stabilität der Banken haben wird".

Mit Blick auf die Europawahl warnte Sewing, ein "deutliches Erstarken anti-europäischer, nationalistischer Kräfte wäre eine schwere Hypothek für das vereinte Europa". Es wäre auch ein schlechtes Signal an alle Investoren. "Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien sind ein Standortrisiko für Europa und ganz besonders für Deutschland." So wichtig es sei, die Dinge beim Namen zu nennen, so wichtig sei es aber zugleich, auf Schwarzmalerei zu verzichten. Deutschland und Europa hätten alle Möglichkeiten, um ökonomisch weiterhin eine Spitzenposition in der Welt zu bekleiden.

Die Vorreiterrolle, die Europa heute im Bereich der grünen Technologien einnehme. sei "nur ein Beispiel für die Innovationskraft, die in unseren Unternehmen steckt". Der deutsche Arbeitsmarkt sei trotz zuletzt negativer Tendenz nach wie vor robust, die Inflation stark rückläufig. Das Geschäftsklima helle sich langsam auf, der Export könnte bald wieder zulegen. Es gelte aber, dass die Politik jetzt die offenkundigen Defizite behebe, die für das in Deutschland seit Jahren zu geringe Investitionsniveau verantwortlich seien.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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April 22, 2024 07:24 ET (11:24 GMT)