--Verband erwartet Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent

--BDI-Präsident Russwurm: Ab Frühjahr sollte es aufwärts gehen

--2023 soll industriepolitisches "Jahr der Entscheidung" werden

(NEU: Pressekonferenz)

Von Andreas Kißler und Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Industrie schaut verhalten auf das Jahr 2023, obwohl die Wirtschaftsprognosen zuletzt angehoben wurden. "Wir erwarten ein kleines Minus von 0,3 Prozent", sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, bei einer Pressekonferenz des Verbandes mit Blick auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt. "Zunächst überwiegen leicht rezessive Tendenzen, ab Frühjahr sollte es aufwärts gehen." Zudem geht der BDI den Angaben zufolge im laufenden Jahr von einem Anstieg der Exporte von Waren und Dienstleistungen um real 1 Prozent aus. "Damit wachsen die deutschen Exporte auch im neuen Jahr weniger stark als der globale Handel, der um etwa 1,5 Prozent zulegen dürfte."

Es habe zwar gute Wirtschaftszahlen für das vierte Quartal gegeben, aber diese seien wesentlich befeuert durch ein Nachhol-Gefühl bei den Verbrauchern nach den Pandemie-Jahren, von dem auch der Dienstleistungssektor profitiert habe, betonte Russwurm zudem im ARD-Morgenmagazin. Die Lage bleibe für Unternehmen aber weiter schwierig. "Auch wenn sich die Energiepreise etwas beruhigt haben, zahlen wir immer noch fünfmal so viel für eine Kilowattstunde wie unsere Mitbewerber in den USA", sagte Russwurm. Die Rohstoffsituation bleibe angespannt, und viele Mieter würden zum ersten Mal höhere Energiepreise auf ihre Rechnung sehen.

"Wir sind immer noch in einer sehr kritischen Situation", warnte der BDI-Präsident bei der Pressekonferenz. Einige kalte Tage könnten den Gasspeicherstand sehr schnell sinken lassen. Russwurm betonte, mit den weiterhin sehr hohen Energiepreisen gerate Deutschland immer mehr ins Hintertreffen gegenüber anderen Regionen der Welt, "Der Kostenfaktor Energie schwächt längst nicht nur energieintensive Unternehmen, sondern hat spürbare Auswirkungen auf die gesamten Wertschöpfungsketten der Industrie." Folglich seien "Produktionsverlagerungen auch in anderen Branchen nicht auszuschließen".


   2023 soll industriepolitisches "Jahr der Entscheidung" werden 

Der BDI-Präsident rief die deutsche Politik dazu auf, die Rahmenbedingungen zu verbessern. "2023 muss zum Jahr der Entscheidung werden - für die Zukunft des Industrielands, Exportlands, Innovationslands Deutschland", verlangte Russwurm. Im Fokus stehe dabei eine ganzheitliche Energiepolitik. Fünf Punkte seien für den BDI besonders wichtig. Erstens müsse die Bundesregierung "sehr schnell die Blockaden für die beschlossenen Preisbremsen für Gas und Strom auflösen". Viele Betriebe könnten die Energiepreisbremsen aufgrund der zu restriktiven Randbedingungen gar nicht in Anspruch nehmen. Die EU müsse das Beihilferecht anpassen, auch unabhängig von der Krisenhilfe.

Zweitens müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller gelingen. Russwurm forderte "mehr als eine Verdreifachung des Windenergie- und mehr als eine Verdoppelung des Photovoltaik-Ausbaus bis 2030". Drittens sei verlässliche Infrastrukturplanung zwingend, und viertens sei für Deutschlands Klimaneutralität die Abscheidung und Speicherung von CO2 notwendig. Technisch sei das längst möglich, es brauche die gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Fünftens benötige Deutschland mehr wasserstofffähige Gaskraftwerke. Es sei dringend ein Plan nötig, wie in einer Größenordnung von 40 Gigawatt wasserstofffähige Gaskraftwerke bis 2030 entstehen könnten.

In der Steuerpolitik forderte der BDI, die Steuerlast der Unternehmen auf ein international durchschnittliches Niveau von maximal 25 Prozent zu senken. Konkret gehe es jetzt darum, die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer auf die einbehaltenen Gewinne bei Personenunternehmen zu ermäßigen und den Solidaritätszuschlag ganz abzuschaffen. BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner warb zudem für eine Reform der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Der BDI forderte von der Bundesregierung allgemein die Beschleunigung der Transformation in allen Wirtschaftsbereichen - industrielle Anlagen, Verkehrs- und Digitalinfrastruktur sowie Energieversorgung.

Auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act sollte Europa eine kluge industriepolitische Antwort finden, forderte Russwurm - mit klarem Fokus auf Innovationen und Zukunftstechnologien. Das Risiko sei groß, dass die dringend nötige Aufholjagd der europäischen Halbleiterindustrie ausgebremst werde. Zudem sei die Gefahr groß, dass die EU künstliche Intelligenz vor lauter Sorge über theoretisch mögliche Risiken überreguliere. Russwurm sprach sich für eine intelligente, finanzstarke europäische Förderung aus - und gleichzeitig für inhaltliche und regulative Rahmenbedingungen, die globale Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen. Parallel sollte es "intensive Gespräche mit den Amerikanern geben, um zu gemeinsamen Lösungen unter Freunden zu kommen".

Kontakt zu den Autoren: andreas.kissler@wsj.com und andrea.thomas@wsj.com

DJG/ank/mgo

(END) Dow Jones Newswires

January 17, 2023 04:54 ET (09:54 GMT)