WIESBADEN (awp international) - Der Trend zu mehr Firmenpleiten in Deutschland hat sich zum Jahresende 2022 hin verfestigt. Extrem gestiegene Energiepreise, Rekordinflation und die Kaufzurückhaltung von Verbrauchern zwingen wieder mehr Unternehmerinnen und Unternehmer zur Aufgabe ihres Geschäfts. Eine Pleitewelle sehen Fachleute trotz der wieder steigenden Zahl von Unternehmensinsolvenzen aber nicht - auch wenn ein weiterer, moderater Anstieg der Pleitezahlen 2023 wegen des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds wahrscheinlich scheint.

Von November auf Dezember vergangenen Jahres erhöhte sich die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren um 3,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Im November hatte es einen Anstieg um 1,2 Prozent zum Vormonat gegeben. Die Verfahren fliessen erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik ein, wie die Wiesbadener Statistiker erklärten. Der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags liege in vielen Fällen annähernd drei Monate davor.

Der monatlichen Analyse des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zufolge sind die Fälle von Firmenpleiten im Dezember auf den höchsten Monatswert des vergangenen Jahres gestiegen. Im letzten Monat des Jahres 2022 haben sich demnach 879 Personen- und Kapitalgesellschaften zahlungsunfähig gemeldet und damit fast ein Viertel (23 Prozent) mehr als vor Jahresfrist.

Trotz dieses Anstiegs liegen die jüngsten Insolvenzzahlen unter dem langjährigen Mittelwert, wie IWH-Forscher Steffen Müller einordnete: "Sowohl die Zahl der insolventen Personen- und Kapitalgesellschaften als auch der in diesen Unternehmen betroffenen Jobs lagen im Jahr 2022 auf vergleichsweise niedrigem Niveau."

Ähnlich bewertet der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) die Entwicklung: Die jüngste Steigerung der beantragten Unternehmensinsolvenzen sei "im langjährigen Vergleich allenfalls ein kleiner Schritt in Richtung Normalisierung des Insolvenzgeschehens und weit weg von einer Insolvenzwelle", sagte der VID-Vorsitzende Christoph Niering. "Üblicherweise steigen die Unternehmensinsolvenzen zum Quartalsende an, da hier Sondereffekte für die Liquidität eintreten können."

Von Januar bis einschliesslich Oktober vergangenen Jahres meldeten die Amtsgerichte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 11 888 Unternehmensinsolvenzen. Das waren 1,3 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger summierten sich dem Bundesamt zufolge für die zehn Monate auf gut 11,6 Milliarden Euro. Im Vorjahreszeitraum lagen sie mit mehr als 46,4 Milliarden Euro deutlich höher, weil seinerzeit mehr Grossunternehmen in die Insolvenz gingen.

Im Oktober 2022 lag die Zahl der Firmenpleiten nach Angaben des Bundesamtes mit 1245 Fällen - vor allem im Baugewerbe und im Handel - um 17,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Amtliche Zahlen für das Gesamtjahr 2022 sind im März vom Bundesamt zu erwarten.

Creditreform rechnet für das vergangene Jahr insgesamt mit etwa 14 700 Firmenpleiten: überwiegend kleine Firmen mit höchstens zehn Mitarbeitern. Das wären nach Berechnungen der Wirtschaftsauskunftei aus dem Dezember etwa vier Prozent mehr als 2021, aber deutlich weniger als im Jahr der Wirtschaftskrise 2009: Damals gab es nach amtlichen Angaben fast 33 000 Firmenpleiten in Deutschland.

In dem noch stark von der Corona-Pandemie geprägten Jahr 2021 hatte es nach amtlichen Angaben in Deutschland mit 13 993 Fällen so wenige Firmenpleiten gegeben wie nie seit Einführung der aktuellen Insolvenzordnung im Jahr 1999. Um eine Pleitewelle infolge der Pandemie abzuwenden, hatte der Staat die Pflicht zum Insolvenzantrag bei Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zeitweise ausgesetzt. Später gab es noch Ausnahmen für Betriebe, die im Sommer 2021 Schäden durch Starkregen oder Überflutungen erlitten hatten.

Mit Milliardensummen versucht der Bund auch aktuell, die Belastungen der Energiekrise für Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher zu mindern. Dennoch dürfte nach Einschätzung von Experten ein weiterer Anstieg der Pleitezahlen nicht zu vermeiden sein.

"Wir erwarten für die kommenden Monate ähnlich hohe Insolvenzzahlen wie im Dezember 2022", prognostizierte IWH-Forscher Müller. Doch trotz des erwarteten Anstiegs wird die Zahl der Firmenpleiten nach seiner Einschätzung "wohl auch bis zum Frühjahr 2023 nicht über das langjährige Mittel steigen". Auch VID-Chef Niering erwartet keine Pleitewelle: "Auch für das Jahr 2023 rechnen wir nicht mit einer aussergewöhnlichen Zunahme an Unternehmensinsolvenzen, sofern die deutsche Wirtschaft nicht mit weiteren exogenen Schocks konfrontiert wird." Ähnlich sieht es der Bankenverband, der darauf verweist, dass der erwartete Anstieg "von einem sehr niedrigen Niveau" kommt. Die Banken selbst sehen sich gerüstet: "Die Risikosysteme sind gut."/ben/DP/mis