Bitcoin sorgt zwar immer wieder für Schlagzeilen, meist allerdings aus dem falschen Grund. Das zeigt sich in diesen Tagen, in welchen kolportiert wird, griechische Anleger versuchten die Kapitalverkehrskontrollen im eigenen Land zu umgehen, indem sie ihre Spargelder in Bitcoins umwandelten. So liessen sich die Ersparnisse vor dem drohenden Wechsel in eine neue Schwach-Währung oder vor einem «Banken-Bail-in » retten, ist die Logik. Solche Berichte sind aber oft stark übertrieben, und die Volumina sind gering.

Zudem behandeln sie primär einen Aspekt des Phänomens: Bitcoin gilt in libertären Kreisen als ideale Parallelwährung zu den etablierten, die unabhängig von einer politisch beeinflussten Notenbank auf Basis energieaufwendiger kryptografischer Verfahren in begrenzter Menge geschaffen, dezentral verwaltet und deswegen wertstabil bleiben werde. Leider ist das begrenzte Geldangebot ein Problem, weil es in einer dynamischen Volkswirtschaft womöglich zu deflationären Effekten und zum Horten der Währungseinheiten führt. Folglich hat Bitcoin als Währung nach Ansicht vieler Ökonomen wegen konzeptioneller Mängel keine Zukunft.

Anzeige
Die Technologie macht's

Anders sieht es mit der «Blockchain-Technologie» im Hintergrund aus. Die Blockchain ist nicht viel mehr als ein digitaler Kontoauszug, der kaum oder nur mit ungeheurem Aufwand manipuliert werden kann. Er enthält Informationen über alle Geschäfte, die digital auf sichere und transparente Weise abgewickelt, dokumentiert und simultan auf verschiedenen Rechnern eines dezentralen Netzwerks abgelegt wurden. Diese Organisationsform hat Vorteile, denn die beteiligten Parteien können jederzeit sicher auf die für sie notwendigen verifizierten Informationen zugreifen. So lassen sich langwierige Prozesse, die sich üblicherweise aus zentralistischen Strukturen ergeben, stark verkürzen, die Kosten senken und die Abwicklungsrisiken mindern. Kein Wunder also, dass vor allem die unter enormem Ertragsdruck stehenden Finanzunternehmen an der Technologie interessiert sind. Sie erforschen diese oder setzen sie sogar schon ein.

Dabei sind sie keineswegs auf Bitcoin angewiesen; denn die Blockchain-Technologie ist nicht exklusiv an diese eine digitale Währung gebunden. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Alternativmöglichkeiten wie etwa Counterparty, Peercoin, Bitshares, Ethereum oder auch Ripple, welche sozusagen als Kontrollmedium für ähnliche oder auch ganz andere technologische Wege dienen, um chiffrierte Informationen in dezentralen Datenbanken auf dynamische Weise zu verwalten. Die dahinterstehenden Firmen wollen «disruptiv» wirken, indem sie etablierte Prozesse effizienter gestalten oder indem sie neue Angebote für andere Unternehmen und Konsumenten entwickeln.

In diesem Rahmen ist heute schon absehbar, dass sich die Struktur des stark fragmentierten internationalen Zahlungsverkehrs in nächster Zeit deutlich verändern wird. Da heute an beinahe jeder Überweisung ins Ausland mehrere Korrespondenzbanken beteiligt sind, die eigene, zeitaufwendige Abläufe haben und welche ihre Dienste in Rechnung stellen, dauern internationale Überweisungen oft mehrere Tage, und sie kosten bei kleineren Summen an exotische Destinationen bis zu 20% der übermittelten Beträge. Das sind enorme Margen, die den technologischen Wettbewerb förmlich anziehen. Längst haben sich bankfremde Anbieter wie Transferwise, Currencyfair, Small World Financial und andere Innovatoren aufgemacht, um den etablierten Firmen in diesem Bereich Konkurrenz zu machen. Das Schweizer Unternehmen Tawipay arbeitet am Aufbau einer Datenbank, die künftig helfen soll, den jeweils günstigsten Anbieter zu finden.

Zunehmender Wettbewerb

In Zukunft wird sich das Geld bei Verwendung einer Blockchain-Instanz sogar direkt von Konto zu Konto über die Grenze schicken lassen und wird bei geringen Kosten in kürzester Zeit im Ausland ankommen. Neben der kleinen Münchner Fidor-Bank experimentieren in diesem Zusammenhang etablierte Institute wie die australische Westpac Bank und die New Zealand Banking Group (ANZ) mit der entsprechenden Technologie von Ripple Labs, weitere Institute wie zum Beispiel die Royal Bank of Scotland dürften folgen. Für die Kunden dagegen ist unerheblich, welche Technik im Hintergrund für den Transfer verwendet wird. Sie werden allenfalls wahrnehmen, ob die Dienstleistungen der Anbieter besser und günstiger geworden sind.

Die stille Revolution im Zahlungsverkehr ist jedoch nur der Anfang dessen, was kryptografische Verfahren in Zukunft möglich machen. Das entscheidende Zauberwort in diesem Zusammenhang heisst «Smart Contracts». So können Blockchain-Mechanismen sowohl dazu verwandt werden, um den Handel mit Währungen, Wertpapieren und anderen «digitalisierbaren» Vermögenswerten abzuwickeln und zu dokumentieren, als auch, um Verträge abzuschliessen, um Eigentumsrechte zu verwalten oder sogar um Grundbücher anzulegen. Das Interessante ist, dass die jeweiligen Einträge «maschinenlesbar» sind und mit einer eigenen Logik versehen werden können.

Was das bedeutet, zeigt der Blick in die fernere Zukunft. Frau Züger hat Herrn Xavier ihr Auto verkauft und Ratenzahlung vereinbart. Weil Xavier jedoch über seine Verhältnisse gelebt und sein Konto gewaltig überzogen hat, bleibt eine Ratenzahlung aus. Das führt dazu, dass sich der Motor des Fahrzeugs nicht mehr starten lässt, sobald er es das nächste Mal nutzen möchte; stattdessen fordert ihn das Display des Automobils auf, erst die überfällige Rate zu zahlen.

Rationalisierungspotenzial

Dieses Prozedere war so in der Kaufvereinbarung festgelegt worden, und die digitale Version des Vertragswerkes war darauf programmiert, die einzelnen Aktionen automatisch auszuführen - von der Abbuchung der vereinbarten Rate bis hin zur Sperrung der Motor-Elektronik des Fahrzeugs bei Verzug. Solche Mechanismen bieten enormes Wachstums- und Rationalisierungspotenzial. Aus diesem Grund sind Banken, Börsen, Wertpapierabwickler und viele Unternehmen anderer Branchen brennend an den Fortschritten in diesem Bereich interessiert.

Selbst die öffentliche Verwaltung liesse sich effizienter gestalten. Professor Harvey Campbell von der Duke University in North Carolina zum Beispiel argumentiert, würde die Stadt Zürich ihr Grundbuch in einer Blockchain ablegen, könnten Interessierte die Besitzverhältnisse von Objekten in kürzester Zeit abklären, eine Immobilientransaktion in wenigen Minuten abwickeln und in gut einer Stunde verifizieren. Der Prozess wäre viel einfacher als heutzutage.

Regulatorische Hürden

Die Voraussetzungen dafür sind jedoch erst im Entstehen. Auf technischer Seite gibt es noch beachtliche Zweifel an der Zuverlässigkeit und Sicherheit der verschiedenen Systeme. Zudem müsste sich das administrative und regulatorische Umfeld ändern. Es fragt sich beispielsweise, ob sich Gesetze «automatisierbar» gestalten lassen und wie die Gerichte in Streitfällen mit entsprechenden Verträgen umgingen.

Insgesamt bieten die innovativen Technologien reichlich Raum für Träumereien. Die nüchterne Realität aber zeichnet sich durch die verzweifelte Suche nach einer «Killer-App» aus.

distributed by