Von Charley Grant

NEW YORK (Dow Jones)--Der Onlinehändler Amazon, der Schrecken des Einzelhandels, pirscht sich nun an die Apotheken- und Drogeriekonzerne heran. Deren Aktionären jagt er damit Angst ein.

Amazon kündigte am Dienstag an, dass Kunden verschreibungspflichtige Medikamente in einem neuen Online-Shop namens Amazon Pharmacy auf seiner Plattform kaufen können. Mitglieder von Amazon Prime sollen die Medikamente binnen zwei Tagen ohne Versandkosten erhalten. Die Kunden sollen Zugang zu den Rabatten auf die Mittel bekommen, die Zwischenhändler ausgehandelt haben.

Bei den Investoren von Apotheken- und Drogeriewerten kam die Nachricht nicht gut an: Die Aktie von CVS Health fiel um 9 Prozent, während jene von Walgreens Boots Alliance um 10 Prozent einknickte. Die Anteilsscheine der GoodRx Holdings, die Verbrauchern hilft, Rabatte bei ihren Medikamenten zu finden, fielen um 22,5 Prozent. Auch die Aktien von Arzneimittelgroßhändlern landeten auf den Verkaufszetteln.

Es gibt Grund zur Annahme, dass der Ausverkauf übertrieben oder zumindest zu abrupt gewesen sein könnte. Auch wenn Amazon bekanntermaßen nicht gerne seine Pläne offen darlegt, hätte die Nachricht nicht überraschen dürfen. Amazon kaufte 2018 das Online-Apotheken-Startup Pillpack für mehr als 700 Millionen US-Dollar. Analysten hatten schon Jahre zuvor spekuliert, dass Amazon in das Apothekengeschäft einsteigen könnte.

Amazon wird einige Zeit brauchen, um Marktanteile zu gewinnen. Die meisten Rezepte werden immer noch in stationären Geschäften eingelöst, obwohl Medikamente per Post kein neues Konzept sind. Senioren, auf die ein großer Teil des Verschreibungsvolumens entfällt, müssen davon überzeugt werden, auf Online-Bestellungen zu wechseln.


   Amazon Prime kommt bei Älteren weniger gut an 

Laut den Analysten von Morgan Stanley ist die Nutzer-Akzeptanz von Amazon Prime bei Menschen ab 55 Jahren am niedrigsten. Und traditionelle Apotheken können immer noch Produkte anbieten, die nicht online verkauft werden können, wie Grippe- und möglicherweise Covid-19-Impfstoffe.

Diese Punkte könnten den stationären Apotheken in die Hände spielen, um eine Wettbewerbsbedrohung abzuwehren. Aber andererseits können es sich die Aktionäre von Apotheken- und Drogerieketten nicht leisten, den Vorstoß von Amazon zu ignorieren. Schließlich kaufen immer weniger Menschen in stationären Geschäften ein, und die Pandemie hat den Trend nur noch verstärkt. Die Geschäftsmodelle der Apotheken hängen zu einem großen Teil von regelmäßigen Besuchen ab, was zu Käufen von anderen Artikeln wie Schönheitspflegeprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln führt. Deswegen könnte ein Schwund bei den Kunden, die verschreibungspflichtige Medikamente vor Ort kaufen, sehr wohl die Apotheken belasten.

Die bloße Bedrohung durch einen neuen Online-Giganten könnte die Aktienkurse der Apotheken- und Drogeriekonzerne deckeln, denn die traditionellen Akteure dürften lange brauchen, um beweisen zu können, dass sie die Bedrohung abwehren können. Zum Beispiel hat Amazons Übernahme von Whole Foods Market im Jahr 2017 zwar die traditionellen Lebensmittelgeschäfte nicht an die Wand gedrückt. Aber der Aktienkurs von Kroger - eine der größten US-Supermarktketten - notiert kaum höher als vor der Ankündigung dieses Deals, trotz der Befeuerung des Online-Handels und der breiteren Aktienhausse. Tatsächlich gerieten die Apotheken-Aktien in ähnlicher Weise unter Druck, als Amazon seinerzeit die Pillpack-Übernahme angekündigte.

CVS und Walgreens werden mit weniger als dem Neunfachen der erwarteten Gewinne bewertet. Noch 2015 wurden sie mit mehr als dem Zwanzigfachen bewertet.

Viel Negatives wurde also schon eingepreist. Mit Amazon auf dem Schirm dürfte sich die Stimmung in nächster Zeit kaum verbessern.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/cbr/mgo

(END) Dow Jones Newswires

November 19, 2020 03:27 ET (08:27 GMT)