Berlin (Reuters) - Der Rückgang der hohen Inflation in Deutschland wird Ökonomen zufolge im Juni unterbrochen.

Die Verbraucherpreise dürften um durchschnittlich 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat steigen, sagten die von der Nachrichtenagentur Reuters befragten Volkswirte von 16 Banken voraus. Im Mai war die Teuerungsrate noch auf 6,1 Prozent gefallen, den niedrigsten Stand seit mehr als einem Jahr. Kommt es so, wäre das der erste Anstieg seit Januar. "Der Weg zu einer niedrigeren Inflation bleibt holprig, das werden die Daten für Juni zeigen", sagte der Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Union Investment, Jörg Zeuner. Das Statistikamt veröffentlicht an diesem Donnerstag seine erste offizielle Schätzung.

Ökonomen erklären den erwarteten Anstieg mit Sondereffekten. "Im Juni letzten Jahres haben die Einführung des befristeten 9-Euro-Tickets sowie der Tankrabatt die Inflationsrate gedrückt", sagte der Chefvolkswirt der BayernLB, Jürgen Michels. "Diese Sondereffekte wiederholen sich dieses Jahr nicht." Die Bundesregierung hatte von Juni bis August 2022 wegen der infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine stark gestiegenen Energiepreise einen Tankrabatt eingeführt, der Benzin und Diesel billiger machte. Zugleich wurde für 90 Tage im ÖPNV ein Ticket für neun Euro pro Monat eingeführt. Das hat inzwischen mit dem Deutschlandticket einen Nachfolger gefunden, dass allerdings 49 Euro monatlich kostet.

VIELE LEBENSMITTEL WIEDER GÜNSTIGER

"Zusammen machen beide Effekte etwa 1,3 Prozentpunkte aus", sagte der Ökonom des Vermögensverwalters Bantleon, Jörg Angelé. Dafür dürften viele Lebensmittel im zu Ende gehenden Monat billiger geworden sein, was einen stärkeren Inflationsanstieg verhindere. "Unter anderem hatten Anfang des Monats alle großen Händler angekündigt, stark gesunkene Erzeugerpreise für Molkereiprodukte an die Kunden weiterzugeben", sagte Angelé. Bei Milch, Joghurt, Sahne, Käse und anderen Produkten habe es Preisabschläge von bis zu 15 Prozent gegeben. Darüber hinaus seien auch die Preise für Strom und Gas wohl nicht gestiegen, während auch bei Haushaltsgütern sowie Restaurants und Hotels der Preisdruck nachgelassen habe. "Die Preise steigen hier zwar noch, allerdings viel weniger stark als vor Jahresfrist", sagte der Ökonom. "Die inflationsdämpfenden Effekte sind in Summe fast so groß wie die inflationstreibenden Effekte von 9-Euro-Ticket und Tankrabatt."

Für die zweite Jahreshälfte rechnen die meisten Analysten mit einer Entspannung bei den Preisen - nicht zuletzt, weil dann der Sondereffekte aus Tankrabatt und 9-Euro-Ticket wegfallen. "Zudem dürften die gesunkenen Preise für Gas und Öl sich zunehmend auch in den Strompreisen widerspiegeln", sagte BayernLB-Chefökonom Michels. "Über den Sommer rechnen wir auch mit einem stärkeren Rückgang der Lebensmittelpreise." Sein Kollege Angelé rechnet im Herbst mit Inflationsraten von unter drei Prozent, Anfang 2024 dann nur noch von knapp über zwei Prozent.

Eine Entspannung signalisiert auch die neue Ifo-Umfrage unter 9000 Firmen. Dabei sank im Juni der Anteil der Unternehmen, die in den kommenden drei Monaten ihre Preise erhöhen wollen. "Besonders bei den konsumnahen Dienstleistern sehen wir noch Preissteigerungen", sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Dazu zählten etwa die Bereiche Gastronomie und Tourismus.

"Der Weg zum Notenbankziel von zwei Prozent ist noch sehr weit", warnt Union-Investment-Chefvolkswirt Zeuner mit Blick auf die von der Europäischen Zentralbank angestrebte Zielmarke. "Trotz der Konjunkturabschwächung bleibt der Arbeitsmarkt robust genug, um für eine ordentliche Lohndynamik zu sorgen." Auch sehe die Lage der privaten Haushalte zwar nicht rosig, aber doch einigermaßen solide aus. Die Nachfrage sei deshalb stabiler als erwartet. Den Unternehmen falle es daher leichter, ihre Gewinnmargen zu verteidigen.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)