Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Ereignisse an den Börsen überschlagen sich. In der Erwartung einer kurz bevorstehenden Einigung im Streit über die Anhebung der Schuldenobergrenze in den USA haben die Anleger den DAX auf ein neues Allzeithoch bei 16.332 gehievt. Der Gipfelsturm wurde zur Bullenfalle. Eine Einigung zwischen Republikanern und Demokraten scheint zwar greifbar nahe, ist aber noch nicht in trockenen Tüchern. Derweil werden die in Rekordtempo erhöhten Zinsen zunehmend zur Belastungsprobe für die Wirtschaft. Nach den revidierten BIP-Daten für das erste Quartal steht nun fest, dass sich Deutschland in einer technischen Rezession befindet.

Der Countdown läuft. Die USA haben noch voraussichtlich bis zum 1. Juni Zeit, um einen Zahlungsausfall zu vermeiden. Wie Warburg anmerkt, wären die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte, die mit einem - selbst nur kurzen - Zahlungsausfall verbunden seien, vermutlich schwerwiegend: Die Finanzmärkte würden in Aufruhr versetzt werden, und die Wirtschaft könnte in eine Rezession stürzen. "Weil allen Beteiligten diese Effekte bekannt sind, ist die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls nahezu null. Dennoch sieht es so aus, als ob eine Einigung erst in letzter Sekunde gelingen wird, so dass die Aktienmärkte zunächst unter Druck stehen dürften", warnen die Analysten.


   Washington wird früher oder später handeln 

Dies könnte allerdings wie schon so häufig der für die Politik notwendige Weckruf für einen Kompromiss sein. "Die Erfahrung von 2011 - damals kam es zu größeren Marktverwerfungen - hat den Anlegern gezeigt, dass Washington, wenn es an den Rand des Abgrunds getrieben wird, schließlich handelt. Entgegen den Befürchtungen, die damals gehegt wurden, erwiesen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen des Schuldenstreits letztlich als vernachlässigbar. Aus diesem Grund sollten sich die Aktienmärkte auch dieses Mal wieder erholen, wenn es zu einer Lösung im Schuldenstreit kommt", gibt sich Warburg zuversichtlich.

Derweil kommen die in den vergangenen Monaten rasant gestiegenen Leitzinsen auf beiden Seiten des Atlantiks zunehmend in der Wirtschaft an. Deutschland befindet sich bereits in einer technischen Rezession und der Ifo-Einbruch im Mai war nach Einschätzung der Commerzbank "kein Ausreißer". Denn andere wichtige Frühindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex für die Industrie oder die Auftragseingänge wiesen bereits klar nach unten. Alles in allem seien die Konjunkturrisiken in den zurückliegenden Monaten deutlich gestiegen. Positive Nachrichten könnte es in der kommenden Woche zumindest von der Inflations-Front geben: Im Euroraum dürften die Verbraucherpreise von 7,0 im April auf 6,0 Prozent im Mai gesunken sein.


   Der US-Arbeitsmarkt ist für den Geschmack der Fed immer noch zu gut 

Neben den europäischen Verbraucherpreisen könnte die Bekanntgabe des US-Arbeitsmarktberichts am kommenden Freitag Akzente an den Märkten setzen. Die Lage am US-Arbeitsmarkt lässt sich nach Auffassung der Commerzbank derzeit schwer in einem Satz zusammenfassen. Einerseits sei der Markt extrem eng. So entstünden weiterhin monatlich mehr Stellen, als Personen auf den Arbeitsmarkt drängen. Entsprechend ist die Arbeitslosenquote so niedrig wie zuletzt 1953. Andererseits zeigten etliche Indikatoren inzwischen abwärts, wenn auch von hohem Niveau aus. Die von der US-Notenbank gewünschte spürbare Abschwächung am Arbeitsmarkt, die die Inflation dämpfen könnte, ist noch nicht erreicht.

Entscheidend für die Entwicklung an den Börsen in den kommenden Wochen und Monaten dürfte sein, inwieweit die wirtschaftliche Abschwächung die zukünftigen Unternehmensgewinne belasten wird. Ein wichtiger Grund für das jüngste Allzeithoch war die besser als erwartet verlaufene Berichtssaison für das erste Quartal. Die Commerzbank glaubt, dass sich das ändern wird. Die DAX-Unternehmen seien in den vergangenen Quartalen in der Lage gewesen, in einem Umfeld mit einer hohen Inflation ihre Verkaufspreise deutlich zu erhöhen, um steigende Kosten für Rohstoffe, Logistik oder Löhne an die Kunden weiterzureichen.


   Höhere Volatilitäten voraus 

Mit der wieder sinkenden Inflation schrumpften nun aber auch die Preisüberwälzungs-Spielräume für die Unternehmen. Daher dürften fallende Gewinnmargen in den kommenden Quartalen den deutschen Aktienmarkt prägen, der Trend der Erwartungen für die DAX-Unternehmensgewinne ab Mitte 2023 fallen. Die DAX-Gewinnerwartungen (I/B/E/S-Konsensus, 12 Monate) seien seit Jahresbeginn um 15 Prozent von 1.270 auf aktuell 1.460 Indexpunkte gestiegen. "Der wichtigste Grund waren gute Berichte der Unternehmen. Aber auch technische Gründe haben den DAX-Gewinntrend angetrieben. So bekommt der DAX-Gewinntrend jedes Frühjahr einen 3-Prozent-Aufschlag durch die DAX-Dividendensaison, da der DAX ein Performance-Index ist."

Wie geht es weiter an den Börsen? Klar ist, dass eine Einigung im US-Schuldenstreit mit einer Erleichterungsrally begrüßt werden wird. Ob der DAX auf neue Allzeithochs klettern wird, ist unklar. Im Handel stellt man sich auf zukünftig wieder höhere Volatilitäten an den Märkten ein. "Wir sind überzeugt, dass die Kombination aus fallendem Ifo-Index, Ende der Dividendensaison, sinkenden DAX-Gewinnmargen, fallendem DAX-Gewinntrend und negativer DAX-Saisonalität dazu führen wird, dass es in den kommenden Monaten wieder regelmäßig Handelstage mit einem VDAX von mehr als 30 geben wird", so die Commerzbank. Das könnte also auch wieder Chancen für den Kurseinstieg eröffnen.

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May 26, 2023 07:50 ET (11:50 GMT)