Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Endlich wieder die volle Konzentration auf die Berichtssaison richten können Anleger in der kommenden Woche. Mit der EZB und der US-Notenbank haben nun die wichtigsten Zentralbanken ihren geldpolitischen Kurs abgesteckt. Da die nächsten Sitzungen erst im September stattfinden, haben Anleger nun fast zwei Monate fixierte Rahmenbedingungen, um Aktien wieder bewerten zu können, ohne sich allzu viele Gedanken über die Entwicklung der Zinsen machen zu müssen.


   Unternehmen klingen in Berichtssaison zuversichtlicher als befürchtet 

Und mit der auf Hochtouren laufenden Berichtssaison dürften Anleger auch ausgelastet sein: Je nach Umfang des betrachteten Anlageuniversums legt rund ein Viertel der europäischen Unternehmen Daten vor. In Deutschland sind darunter Allianz, Bayer, Beiersdorf, BMW, Commerzbank, Covestro, Deutsche Post, Infineon, Lufthansa, Lanxess, Merck und viele andere.

Die bisher vorgelegten Quartalsausweise boten kaum Anlass zur Beunruhigung: Oft waren die Ausblicke zuversichtlicher als befürchtet, von Rezession keine Spur. Oder es wurden zwar schwache Zahlen vorgelegt, die Kursreaktionen darauf fielen aber positiv aus - ein klares Indiz, dass viel Negatives bereits eingepreist ist.

Vor allem bei Technologie-Unternehmen und Konjunkturzyklikern glauben Händler daher, dass Anleger zu pessimistisch waren. Die Belastung der persönlichen Stimmung durch Ukrainekrieg und Inflation spiegele sich schließlich nicht zwangsläufig in Unternehmensbilanzen.


   Entspannte Haltung zu schwächerem US-BIP berechtigt? 

Daneben ist kommende Woche auch viel über die Lage der Weltwirtschaft zu hören. Hier werden die wichtigen Revisionen der Einkaufsmanager-Indizes (PMI) vorgelegt, vor allem auf die Entwicklung in China und eine Nach-Corona-Erholung wird gehofft. In den USA steht der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe auf dem Programm, am Freitag beschließt der große monatliche Arbeitsmarktbericht die Woche.

Dann wird sich zeigen, ob die entspannte Haltung der Marktteilnehmer gegenüber dem schwächeren US-BIP berechtigt ist. Zahlreiche Strategen wollen dem Rückgang um 0,9 Prozent im zweiten Quartal nicht viel Bedeutung beimessen. Zwar sei dies der zweite Rückgang in Folge, allerdings nach vorherigen Rekordzulagen von fast 7 Prozent. Zudem seien diese Daten annualisiert und notorisch unzuverlässig. In die Erstschätzung des US-BIP ginge ein Teil der später verfügbaren Daten noch nicht ein, daher gebe es immer wieder kräftige Revisionen. Und das deutsche BIP rutschte nicht einmal in den negativen Bereich.


   Inflation drückt auf Konsum - nicht ein abstrakter Leitzins 

Auch das Argument, die US-Notenbank treibe die Wirtschaft mit ihren Zinsschritten in die Rezession, entspringt mehr dem Wunschdenken der Nullzins-Fraktion.

Gerne wird dabei übersehen, dass es nur die Inflation und der damit verbundene Anstieg der Preise im Supermarktregal ist, der für einen scharfen Konsumrückgang sorgt und damit das BIP belastet. Genau dagegen will die Fed aber mit ihren Zinserhöhungen vorgehen.

Die Erhöhung von abstrakten Zinssätzen durch die Fed ist den US-Konsumenten bei einer konkreten Kaufentscheidung derweil relativ egal: Schließlich hat sich der durchschnittliche Schuldzins auf Kreditkarten nur von rund 18 auf 20 Prozent erhöht, eine Differenz die angesichts der absoluten Höhe auch keine große Rolle mehr spielt. In keiner der vergangenen Dekaden lagen die US-Zinsen auf Kreditkarten unter 12 Prozent, mit den 0,75 Prozent mehr wegen der Fed dürften Konsumenten leben können.


   Abkühlung der US-Inflation willkommen 

Die völlige Ausrichtung der US-Notenbank in Richtung Inflationsbekämpfung wird daher von den meisten Analysten befürwortet. Selbst wenn die jüngsten US-BIP-Daten stimmen sollten und auch deren Revision einen Rutsch in die "technische Rezession" bestätige, sei dies akzeptabel, so der Tenor. Die Fed habe klar entschieden "Inflation zuerst" - alles andere stehe hinten an, kommentierte die Bank of America den Zinsentscheid.

Und beim Vermögensverwalter Pimco unterstrich Nordamerika-Spezialistin Tiffany Wilding, dass eine US-Rezession sogar nötig sein könnte um die Preisstabilität wiederherzustellen. Denn die Inflation sei nicht nur hartnäckig, auch hätten sich Lohn- und Mietmarktinflation sogar noch beschleunigt.


   Mögliche Kaufgelegenheit für Aktien - US-Arbeitsmarkt ist robust 

Anleger sollten sich über ein kleine Rezession daher nicht zu viele Gedanken machen - vor allem, da die Berichtssaison der Einzelunternehmen keine Indizien dafür gibt. Jeffrey Halley von Oanda macht daher eher eine Kaufgelegenheit für Aktien angesichts des Rezessions-Geredes aus. Eine klare Definition dafür gebe es ohnehin nicht, von zwei befragten Analystenhäusern habe man zwei einander widersprechende Meinungen erhalten. Aber angesichts des weiter robusten US-Arbeitsmarktes sei zweifelhaft, ob wirklich eine Rezession vorliege. Freitag nächster Woche wissen Anleger mit den US-Arbeitsmarktdaten mehr.


   Einzelhandel steht noch vor Gas-Schock 

Nur gegenüber dem Einzelhandelssektor ist Skepsis angebracht. Hier ist die Belastung durch die Inflation zwar schon teilweise eingepreist, der "ganz große Hammer" stehe aber noch mit den Nebenkostenabrechnungen und der geplanten Gas-Umlage aus, heißt es im Handel. Selbst das Allzeittief im GfK-Konsumklima könnte noch unterboten werden. Dies dürfte einen weiteren Schock beim Konsum auslösen. Verlierer würden neben Einzelhandels- auch die Reise-Aktien werden.

Und auf Entlastung durch fallende Preise sollten Verbraucher und Anleger auch nicht setzen. So warnte Chef-Volkswirt Jörg Krämer von der Commerzbank, dass hier nur kurzfristige Sondereffekte wie Tankrabatt, 9-Euro-Ticket und anderes den Anstieg gebremst hätten. Mit dem Ende dieser Maßnahmen könnte die Inflation schnell wieder auf 8,5 Prozent steigen.

Anleger schauen daher mit Spannung auf die Einzelhandelsdaten aus der EU am Mittwoch und welche Monatstendenz sich hier im Juni gezeigt hat.

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July 29, 2022 08:04 ET (12:04 GMT)