Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Der DAX ist scheinbar nicht zu halten. Nach Kursgewinnen von 1.000 Punkten seit Jahresbeginn ist der Index reif für eine Korrektur. Ob es dazu kommt, dürfte vom Verlauf der gerade beginnenden Berichtssaison für das vierte Quartal abhängen. Genauso wichtig wie die Geschäftszahlen werden die Ausblicke der Unternehmen sein. Spannend wird, ob die Sorge der Volkswirte vor einer aufziehenden Rezession von den Unternehmen geteilt wird. Technisch betrachtet würde dem DAX eine Korrektur nach der Rally gut tun. Diese sollte verhalten ausfallen - die langfristigen Aussichten bleiben günstig.

Hauptreiber an den Börsen sind die nachlassenden Inflationsängste der Anleger. Die jüngsten US-Verbraucherpreise haben unterstrichen, dass der Inflationsgipfel überschritten worden ist. Die Inflation ging im Dezember auf plus 6,5 Prozent nach 7,1 Prozent zurück und fiel damit auf den niedrigsten Stand seit mehr als einem Jahr. Für die Anleger interessant sind dabei vor allem die möglichen Folgen für die Geldpolitik. Nach dem erneut deutlichen Rückgang der Inflationsrate stehen laut QC Partners die Chancen gut, dass die Fed ihr Zinstempo schon ab der kommenden Sitzung Anfang Februar auf 25 Basispunkte drosseln wird. Damit würde die US-Notenbank nach sechs großen Schritten in Serie wieder zum als normal geltenden Tempo zurückkehren.


   Im DAX sind keine Rezessionsspuren erkennbar 

Die Frage ist nun, was das für das Wirtschaftswachstum bedeutet. "Noch ist sie nicht da, aber die Meinung unter den Ökonomen hält sich hartnäckig, dass sich in diesem Jahr in den USA und der Eurozone entweder eine Rezession oder zumindest mal eine deutliche wirtschaftliche Verlangsamung im Wirtschaftswachstum einstellt. Die Börse spricht seit dem Jahreswechsel allerdings eine andere Sprache", sagt CMC. Schaue man auf den DAX, sei keine Spur von Rezessionssorgen erkennbar. Um diese Diskrepanz aufzulösen, könnte die Berichtsaison für das letzte Quartal 2022 eine interessante Perspektive liefern, wie denn die Unternehmen ihre wirtschaftliche Zukunft sehen, heißt es weiter.

Noch halten viele Anleger die aktuellen Gewinnerwartungen für zu hoch und befürchten, dass diese Bilanzperiode zu einer deutlichen Senkung der Prognosen führen wird. Für das vierte Quartal wird laut CMC für die Unternehmen im S&P-500 ein Gewinnrückgang von 7,3 Prozent bei einem Umsatzanstieg von vier Prozent erwartet. Ohne den starken positiven Beitrag des Energiesektors sollte der Rest sogar ein Rückgang um gut elf Prozent hinnehmen müssen. Für den Blick in die Zukunft sei allerdings nicht so sehr das aktuelle Gewinnwachstum oder der Anteil der Unternehmen, die die Konsensschätzungen übertreffen, entscheidend. Vielmehr gehe es darum, was diese Ergebnisse für die kommenden Quartale aussagten, heißt es. Es gehe also wieder einmal um den Ausblick.


   Konsumfreude in den USA bleibt hoch 

Die Kombination aus der nachlassenden Nachfrage infolge der geldpolitischen Straffung durch die Fed und dem anhaltenden Kostendruck könnte viele Branchen dazu zwingen, ihre Prognosen zu senken, glaubt CMC. "Das wäre sicherlich dann ein valides Szenario, wenn die Wirtschaft auf eine harte Landung zusteuert. Dieses Risiko wäre aber nur dann gegeben, sollte die Fed die Zinsen weit über fünf Prozent erhöhen. Gehen die Unternehmen aber nicht von einer harten Landung der US-Wirtschaft aus, dürften ihre Gewinnprognosen zuversichtlicher ausfallen, auch wenn man bedenkt, wie stark sich der Arbeitsmarkt in den USA derzeit präsentiert", so die Analysten.

In den Wirtschaftsdaten ist eine schwere Rezession bislang nicht erkennbar: Das deutsche BIP dürfte nach vorläufigen Zahlen im vierten Quartal stagniert haben. Die Commerzbank erwartet für dieses Jahr nur eine milde Rezession mit einem Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes um 0,5 Prozent. Auch die in der kommenden Woche anstehenden US-Einzelhandelsdaten sollten unterstreichen, dass zumindest bislang "von einem Einbruch ... beim privaten Konsum in den USA bisher keine Rede sein kann". Im Gegenteil: Wahrscheinlich haben die Verbraucher im vierten Quartal preisbereinigt auf Jahresrate hochgerechnet mehr als 3 Prozent mehr ausgegeben als im dritten Quartal, prognostizieren die Analysten.


   Langfristige charttechnische Aussichten bleiben günstig 

Technisch ist der DAX in der Zwischenzeit allerdings überkauft. "Da wäre eine Korrektur mittlerweile eher der Normalfall als eine Überraschung", gibt QC Partners zu bedenken. Gleichzeitig sei das Open Interest, also die Zahl der ausstehenden Future-Kontrakte, auf den Euro-Stoxx-50 seit dem Dezember-Verfall kontinuierlich zurückgegangen. Daraus lasse sich ablesen, dass in den vergangenen Handelstagen viele Absicherungspositionen aufgelöst worden seien, was den Kursanstieg zusätzlich befeuert habe. "Für die Zukunft kann das den DAX jedoch in eine brenzlige Situation bringen. Denn ohne Absicherung werden viele gezwungen sein, in eine erste Korrektur hinein Positionen zu verkaufen oder abzusichern", heißt es.

Charttechniker Marcel Mußler gibt aber übergeordnet Entwarnung: "Mit Überwinden der langfristigen Widerstandszone gibt es bis zum Allzeithoch bei 16.290 Punkten keine weiteren bedeutenden Widerstände mehr", zeigt er sich zuversichtlich. Ein neues Allzeithoch werde damit zu einem sehr gerechtfertigten neuen Ziel, sogar schon im ersten Quartal, wenn es gut laufen sollte. "Diese Tür geht jetzt schneller als erwartet auf, viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen." Es bleib zu hoffen, dass Mußler Recht behält. Nach einem sehr schweren Börsenjahr 2022 haben sich die Anleger einen Platz an der Sonne verdient.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

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January 13, 2023 06:40 ET (11:40 GMT)