Frankfurt (Reuters) - EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat zur Hälfte ihrer laufenden Amtszeit in einer Belegschaftsumfrage der Notenbank-Gewerkschaft IPSO ein eher schlechtes Führungszeugnis erhalten.

Laut den Ergebnissen war zusammengenommen eine knappe Mehrheit von 50,6 Prozent der 1.089 Teilnehmer der Ansicht, insgesamt sei die Leistung von Lagarde bislang eher mager (30,49 Prozent) oder sehr mager (20,11 Prozent) gewesen. Zusammengenommen nicht einmal ein Viertel der Teilnehmer stuften ihre Leistung lediglich als gut (12,30 Prozent), sehr gut (7,99 Prozent) oder herausragend (2,57 Prozent) ein, wie aus der Reuters vorliegenden Umfrage hervorging. Die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds leitet die Europäische Zentralbank (EZB) seit Ende 2019.

Die EZB beschäftigte zuletzt mehr als 3.500 Mitarbeiter an ihrem Standort in Frankfurt. Mitglieder der International and European Public Services Organisation (IPSO) sind mit sechs von neun Sitzen im Personalrat der Euro-Notenbank vertreten. Der Umfrage zufolge stimmten zusammengenommen nur 22,76 Prozent der Teilnehmer der Einschätzung zu oder stark zu, dass mit der ehemaligen französischen Finanzministerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt die richtige Person den Präsidenten-Posten innehabe. 53,48 Prozent widersprachen dieser Ansicht. Die verbliebenen 23,77 Prozent gaben an, sie könnten dies nicht sagen.

Eine ähnliche IPSO-Umfrage unter EZB-Beschäftigten hatte 2019 kurz vor dem Ausscheiden von Lagardes Vorgänger Mario Draghi ergeben, dass 54,5 Prozent seine Präsidentschaft mit "sehr gut" oder "hervorragend" bewerteten. Aber auch damals hatte es reichlich Kritik gegeben. So hatten sich Notenbank-Beschäftigte unter anderem über mangelnde Transparenz bei Stellenbesetzungen und Günstlingskultur beschwert. Der neuen IPSO-Umfrage zufolge haben zusammengenommen 59,25 Prozent von 1.075 Teilnehmern ein geringes oder gar kein Vertrauen in das sechsköpfige Direktorium der Notenbank. Das ist eine deutlich Verschlechterung im Vergleich zu einer ähnlichen IPSO-Umfrage im vergangenen Jahr. Damals waren es noch rund 40 Prozent gewesen.

Eine EZB-Sprecherin bezeichnete die IPSO-Erhebung als fehlerhaft. Die Erhebung hätte auch mehrmals von derselben Person ausgefüllt werden können. Ähnliche Kritik hatte die EZB bereits bei vorherigen Gewerkschaftsumfragen angebracht. Die Sprecherin wies zudem darauf hin, dass bei EZB-eigenen Umfragen stets etwa 3.000 Beschäftigte teilnähmen. Die IPSO erklärte, sie habe keine verdächtigen Aktivitäten festgestellt. Die Ergebnisse zeichneten ein faires Bild der Ansichten der Notenbank-Beschäftigten. Die EZB-Sprecherin wies zudem darauf hin, die Erhebung befasse sich auch mit Themen, für die eher das EZB-Direktorium oder der EZB-Rat als nur allein die Präsidentin verantwortlich seien und die zudem nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gewerkschaft fielen.

Nur wenige Monate nach dem Amtsantritt von Lagarde im November 2019 war die EZB mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie konfrontiert. Ein scharfer Anstieg der Inflation folgte, was von den meisten Volkswirten in diesem Ausmaß nicht vorhergesehen wurde. Durch den Krieg in der Ukraine und die nachfolgende Energiekrise war die Teuerung danach noch weiter angefacht worden. Im Herbst 2022 lag sie im Euro-Raum sogar zeitweise bei mehr als zehn Prozent. Nach einer beispiellosen Serie von zehn Zinserhöhungen ist sie inzwischen auf 2,9 Prozent im Dezember gesunken. Die EZB strebt 2,0 Prozent als Optimalwert für die Wirtschaft an. Die Inflation ist damit zwar inzwischen deutlich gesunken. Viele Ökonomen hatten der Notenbank allerdings vorgeworfen, erst sehr spät mit den Zinsanhebungen gegengesteuert zu haben.

In der neuen IPSO-Umfrage hagelte es aber nicht nur negative Einschätzungen zu Lagarde. So fand eine Mehrheit von zusammengenommen 57,25 Prozent der Teilnehmer es positiv, dass Lagarde das Thema Umweltschutz in die Geldpolitik mitaufgenommen habe.

(Bericht von Francesco Canepa, Frank Siebelt; Redigiert von Christian Rüttger; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)