Kiew/Budapest (Reuters) - Einen Tag nach Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft ist Ministerpräsident Viktor Orban erstmals seit Kriegsbeginn in die ukrainische Hauptstadt Kiew gereist.

Thema der Gepräche mit Präsident Wolodymyr Selenskyj seien die Beziehungen beider Länder zueinander und die Chancen auf Frieden mit Russland, sagte Orbans Sprecher Bertalan Havasi am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Damit setzt Orban einen anderen Tenor als die Mehrheit der EU-Vertreter, die bei ihren Besuchen in Kiew der Ukraine militärische Hilfe zugesichert haben. Orban hingegen kritisiert massiv die EU-Militärhilfen und pflegt enge Verbindungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der die im Februar 2022 begonnene Invasion des Nachbarlandes befohlen hat. Das russische Militär zerstörte bei neuen Angriffen nach eigenen Angaben fünf ukrainische Kampfjets vom Typ SU-27 und nahmen den Luftwaffenstützpunkt in Starokostjantyniw in der Westukraine unter Beschuss - kurz vor der im Juli erwarteten Ankunft der ersten von den westlichen Verbündeten gelieferten F-16-Kampfjets.

"Das wichtigste Thema der Gespräche ist die Chance, Frieden zu schaffen", erklärte Orbans Pressechef Havasi auf eine Reuters-Anfrage zu den Beratungen. Orban und Selenskyj würden auch die bilateralen Beziehungen besprechen. Unter den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, die Russland wegen seines Angriffskrieges mit Sanktionen belegt hat, ist Orban derjenige, der Putin am nächsten steht. Im vergangenen Jahr hatte Orban zu Putin gesagt, Ungarn habe sich nie gegen Russland wenden wollen. Anfang dieses Jahres brauchten die EU-Staats- und Regierungschefs Wochen, um Orbans Veto zu brechen und der Ukraine neue Hilfen in Höhe von 50 Milliarden Euro zukommen zu lassen.

Vergangene Woche hatte die Europäische Union formell Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufgenommen - kurz vor der turnusgemäßen Übernahme der Ratspräsidentschaft durch Ungarn. Bis zu einem EU-Beitritt dürfte es noch etliche Jahre dauern, aber der Beginn des Prozesses gibt der Ukraine und ihrer Führung einen Schub. Zugleich bittet die Regierung in Kiew ihre Verbündeten immer wieder um dringend benötigte Munition, Kampfjets und Flugabwehrsysteme.

RUSSISCHER ANGRIFF AUF LUFTWAFFENSTÜTZPUNKT MYRHOROD

Kurz vor der erwarteten Ankunft der ersten Kampfjets vom US-Typ F-16 greifen die russischen Streitkräfte verstärkt Flugplätze in der Ukraine an. Am Dienstag teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit, die Basis Myrhorod in der zentralukrainischen Region Poltawa sei beschossen worden. Fünf SU-27-Kampfjets seien zerstört und zwei weitere beschädigt worden. Die ukrainische Luftwaffe bestätigte bereits am späten Montagabend den Angriff auf Myrhorod. Es habe auch einige Verluste gegeben, die Angaben des russischen Feindes seien aber wie immer übertrieben.

Es ist nicht öffentlich bekannt, wo die F-16 stationiert werden sollen. Der Einsatz dieser Kampfjets - so hofft die Führung in Kiew - würde die Lufthoheit des russischen Militärs ausgleichen. Sie könnten auch russische Gleitbomben zerstören, die auf ukrainischem Gebiet verheerende Schäden anrichten und immer wieder zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung führen.

Russland hat mehrfach erklärt, seine Streitkräfte würden F-16-Kampfjets in der Ukraine umgehend zerstören. Nach dem Angriff auf Starokostjantyniw, ein kleinen Ort in der Region Chmelnyzkyj im Westen der Ukraine, am Donnerstag, erklärte die Führung in Moskau, das Militär habe Flugplätze ins Visier genommen, auf denen vermutlich die F-16 stationiert würden. Der dortige Militärstützpunkt, den die Einheimischen kurz "Starkon" nennen, wird seit Beginn der russischen Invasion immer wieder angegriffen - mit Drohnen und mit Hyperschallraketen. Ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe sagte, die Angriffe brächten "gewisse Schwierigkeiten" mit sich, würden aber weder die Lieferung von F-16 noch deren Einsatz im Kampf beeinträchtigen.

(Bericht von: Anita Komuves, Dan Peleschuk, Reuters-Büros in Kiew und Moskau; geschrieben von Sabine Ehrhardt, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)