Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Es war einer der wichtigsten G7-Gipfel seit Jahren. Gastgeber Bundeskanzler Olaf Scholz gelang auf Schloss Elmau vor dramatischer Alpenkulisse, in vielen wichtigen Fragen Einigkeit unter den sieben führenden Wirtschaftsnationen (G7) zu erzielen. Dazu zählt die Unterstützung für die Ukraine, schärfere Sanktionen gegen Russland und die Verabredung, bis Ende des Jahres einen internationalen Klimaclub ins Leben zu rufen. Dennoch wiegen die vorzeigbaren Erfolge gering angesichts der massiven globalen Probleme.

Wen interessiert schon die Einigkeit der G7-Länder, wenn die wirtschaftlich immer wichtiger werdenden Schwellenländer China und Indien sich in der Ukraine-Frage neutral verhalten, um weiter an billiges russisches Öl zu kommen?

Daran hat auch der G7-Gipfel in Bayern nichts geändert. Vorab hatte Scholz die Erwartungen dämpfen wollen. Man werde keine Berge versetzen können. Das ist in der Tat nicht geschehen.

Die westlichen Sanktionen gegen Russland wegen dessen Angriffskrieg in der Ukraine sind die schärfsten ihrer Art. Trotzdem kann Präsident Wladimir Putin seine Kriegskasse weiter füllen. Denn die Preise für Öl und Gas haben sich so stark verteuert, dass Russland trotz geringerer Ausfuhren in den Westen sogar mehr verdient als vor dem Krieg. Daran wird sich sobald nichts ändern.


   Machtlos ohne die Schwellenländer 

Die Bemühungen der G7-Länder, sich auf einen Preisdeckel für russische Öllieferungen zu verständigen, gestalteten sich schwierig. Die USA hatten das Projekt vorangetrieben und auch ein Importverbot für russisches Gold ins Spiel gebracht. Beim G7-Gipfel wurde aber lediglich vereinbart, einen Preisdeckel bei Öl zu prüfen. Scholz nannte das Vorhaben ambitioniert. Bei Gold will man Russlands Einnahmen verringern. Auch hier fehlte eine konkrete Vereinbarung. Denn was kann die G7 alleine schon ausrichten?

Solange es dem Westen nicht gelingt, die großen Schwellenländer auf seine Seite gegen Russland zu ziehen, werden die Sanktionen in naher Zukunft nicht den erwünschten Effekt zeigen. Der Krieg in der Ukraine wird andauern, solange die Ukraine nicht im ausreichenden Maße schwere Waffen zur Selbstverteidigung bekommt.

Die Energiekrise samt hoher Preise für Öl, Gas, Strom und andere Rohstoffe wird die Wirtschaft im Westen empfindlich treffen und den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen. Daran werden auch die G7-Vereinbarungen der Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien Italien, Japan, Kanada und den USA nicht viel ändern.


   Hilfen für globalen Süden überzeugen nicht 

Scholz hatte nach Elmau fünf wichtige Schwellenländer eingeladen. Aber nach dem Treffen mit Indonesien, Indien, Argentinien, Südafrika und Senegal musste er einräumen, dass die Differenzen im Umgang mit Russland fortbestehen. Zu groß ist das Misstrauen im globalen Süden gegenüber den westlichen Ländern. Zu groß ist die Angst vor einer verschärften Hungerkrise. Zu verlockend ist die Aussicht auf verbilligtes russisches Öl.

Die G7 vereinbarte in Elmau, in Entwicklungs- und Schwellenländern mit einem Infrastrukturprogramm rund 600 Milliarden Dollar bis 2027 zu investieren. Der Umfang des über staatliche und private Gelder zu mobilisierenden Programms kann sich durchaus sehen lassen. Aber China ist längst vor Ort mit seinem Programm "Neue Seidenstraße".

Zudem haben die wohlhabenden Länder den globalen Süden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eher als Migrationsproblem und weniger als Region mit wirtschaftlichen Chancen angesehen. Nun sucht man Verbündete gegen Russland und kommt als Bittsteller auf der Suche nach neuen Energiepartnern.

Außerdem dürften die von der G7 zugesagten zusätzlichen 4,5 Milliarden US-Dollar zum Kampf gegen die Hungerkrise für viele Länder wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken angesichts der hohen Preissteigerungen, die seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs in ärmeren Ländern für Nahrungsmittel fällig sind. Vergangene Woche hat Außenministerin Annalena Baerbock noch von 44 Milliarden Dollar gesprochen, die zu Verhinderung eines Hunger-"Tsunamis" nötig seien. Lediglich die Hälfte davon sei finanziert.


   Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel 

Bei allen Erfolgen, die Scholz als G7-Gastgeber auf Schloss Elmau für sich verbuchen kann, steht der eigentlich wichtige Gipfel denn erst im November an. Dann lädt Gastgeberland Indonesien zum Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) nach Bali ein. Scholz erklärte in Elmau, dass die G7-Länder nach aktueller Lage an dem Treffen teilnehmen wollten.

Dort werden die G7-Staaten auf die wichtigen Schwellenländer Indien und China treffen. Dort könnten sie zum womöglich ersten Mal seit Kriegsbeginn auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen.

Das ist dann ein Showdown anderer Art. Mit den wichtigen Schwellenländern am Zünglein an der Waage.

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June 28, 2022 11:31 ET (15:31 GMT)