Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) könnte nach seinem Urlaub mit dem Lied von Jürgen von der Lippe zum Jahresbeginn ins Kanzleramt zurückkehren: "Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da?" Denn Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht glänzt mit Unvermögen, der Koalitionspartner FDP sucht weiterhin den Streit in Energiefragen und die Grünen mühen sich mit der Energiewende und dem zukünftigen Umgang mit China ab. Vermutlich wird Scholz stoisch weitermachen wie bisher, vorerst an seiner umstrittenen Kabinettskollegin festhalten und in der Ampel-Koalition seinen eigenen Kurs in Klima- und Wirtschaftsfragen durchdrücken.

Dabei rumort es in der Partei des SPD-Politikers. Im Verteidigungsministerium sitzt mit Christine Lambrecht eine Parteigenossin, die an Silvester ein Video zum Fremdschämen veröffentlicht und die in ihrem Amt in den vergangenen zwölf Monaten alles andere als geglänzt hat. In ihrer eigenen Partei ist es daher in den vergangenen Tagen trotz der massiven Kritik an dem Silvestervideo auffällig still geblieben. Lobgesänge auf Lambrecht suchte man vergeblich. Die Rufe aus der Opposition nach einem Rücktritt oder gar Rauswurf wird Scholz wohl trotzdem nicht erhören - zumindest vorerst. Er lässt sich nicht gerne drängen.

Denn es macht sich nach außen besser, wenn Scholz dies in einer größeren Kabinettsumbildung anpackt. Diese böte sich an, wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser als SPD-Spitzenkandidatin in den Landtagswahlkampf nach Hessen wechseln und dafür ihr Berliner Amt zur Verfügung stellen sollte. Es kann aber sein, dass sie das nicht tun, sondern erst das Ergebnis dieser Wahl abwarten wird.


   Krawallmacher FDP schielt auf Landtagswahlen 

Der Koalitionspartner FDP ist nach den enttäuschenden Landtagswahlen 2022 auch im neuen Jahr auf Krawall gebürstet. Es gilt das eigene Profil zu schärfen. FDP-Chef Christian Linder lässt nicht locker mit seiner Forderung nach einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke über den April hinaus und einer Aufhebung des Fracking-Verbots - trotz Kanzlermachtwort im vergangenen Herbst. Unbeeindruckt von Ratschlägen der Wirtschaftsweisen fordert er weiterhin Steuersenkungen, die besonders den besser Verdienenden zugutekommen würden. Mit wirtschaftlicher Dynamik will er aus Schulden und Inflation herauswachsen.

Denn im Februar steht die Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin an, im Mai dann die Wahl zur Bremer Bürgerschaft. Und im Herbst will die FDP in den noch wichtigeren Landtagswahlen in Bayern und Hessen bestehen. Die FDP will ihrer potentiellen Wählerschaft beweisen, dass man trotz schwindelerregender Neuverschuldung für solide Finanzen und eine wirtschaftsfreundliche Politik kämpft - notfalls gegen die Koalitionspartner.


   Grüne kämpfen mit Wirtschaft um Klimaschutz und Werte 

Die Grünen um Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock wiederum kassieren immer mehr Kritik aus der Wirtschaft. Habeck bringt den Ausbau der Ökostromanlagen voran, aber die vermurkste Gasumlage und die zunehmend größere Rolle des Staats hat bei den Unternehmen Vertrauen gekostet. Außerdem machen die vielen Auflagen beim Ökostromausbau, das teils chaotische Vorgehen und die hohen Energiekosten vielen Betrieben das Leben schwer.

Baerbock wiederum erntet mit ihrer wertegeleiteten Außenpolitik und ihren Plänen zur Reduzierung der staatlichen Garantien von deutschen Investitionen in China durchaus Stirnrunzeln bei Unternehmen, die auf eine enge Zusammenarbeit mit China angewiesen sind.

Mit dem ersten Entwurf der Nationalen Sicherheitsstrategie samt neuer China-Strategie aus ihrem Haus will Baerbock nach eigener Aussage Lehren ziehen aus Deutschlands vorheriger Komplettabhängigkeit von Russland im Energiebereich. Im Umgang mit China sei das Interesse Deutschlands nicht deckungsgleich mit dem kurzfristigen Gewinninteresse von Unternehmen, wie Baerbock Ende des Jahres erklärte.

Allerdings sehen Scholz und sein Kanzleramt China weniger kritisch und stoppten daher den Entwurf. In einer Regierungserklärung vor Weihnachten machte Scholz deutlich, dass China als Wirtschafts- und Handelspartner wichtig sei. In den kommenden Wochen wird Scholz daher mit den zuständigen Ministerien um einen Kompromiss in der Nationalen Sicherheitsstrategie ringen. Er will sicherstellen, dass sich die Kanzleramtslinie durchsetzt.


   Der Segen der Sternsinger 

Am Donnerstag tritt Scholz nun erstmals seit der Weihnachtspause öffentlich auf. Dann werden viele Fragen auf ihn warten. Auch solche, die Lambrechts Zukunft betreffen. Scholz wird dazu vermutlich schweigen. Denn er trifft im Kanzleramt auf die Sternsinger, die seinem Haus Segen für das neue Jahr wünschen und eine Schutzformel auf die Haustür schreiben werden.

Scholz wird für die kommenden zwölf Monate mehr denn je eine gute Hand brauchen, um die Ampel-Koalition zusammenzuhalten. Es gilt, Deutschland durch ein schwieriges Jahr der wirtschaftlichen Transformation und hohen Energiekosten zu bringen.

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January 04, 2023 07:23 ET (12:23 GMT)