FRANKFURT (dpa-AFX) - Der drastische Kursrutsch an den Börsen im vierten Quartal 2018 hat auch die sogenannten Substanzwerte getroffen. Die Papiere von solide finanzierten Konzernen mit hohen Barmittelzuflüssen wurden in Mitleidenschaft gezogen, obwohl sich die Anleger von ihnen eine gewisse Stabilität erhofft haben. Diese "Value-Aktien" sind Experten zufolge nun aber im Vergleich zu Wachstumswerten besonders günstig bewertet und könnten in den kommenden Monaten eine Aufholjagd starten - falls die Weltwirtschaft nicht in eine Rezession abgleitet oder die US-Politik den Anlegern einen Strich durch die Rechnung macht.

DIE LAGE AN DEN BÖRSEN:

Im vergangenen Jahr war an den Aktienmärkten kaum ein Blumentopf zu gewinnen. Selbst der US-Leitindex Dow Jones Industrial drehte am Ende noch ins Minus. Hierzulande kam es nach sechs fetten Jahren zum Ausverkauf: Internationale Handelskonflikte, Konjunktursorgen und Angst vor steigenden Zinsen hatten den Anlegern die Laune verhagelt. Sie erlebten das verlustreichste Jahr seit der internationalen Finanzkrise 2008. Das deutsche Börsenbarometer Dax verlor insgesamt mehr als 18 Prozent. Zu Beginn des neuen Jahres jedoch hellte sich die Lage wieder etwas auf.

Seit der Finanzkrise haben die Anleger weltweit vor allem auf sogenannte Wachstumsaktien gesetzt. Unternehmen aus dieser Kategorie zeichnen sich durch hohe Zuwächse bei Ertrag, Umsatz und Investitionen aus; entsprechend hoch sind aber auch die Kursrisiken. Angesichts der Kursrally der letzten Jahre müssen Anleger deshalb für einen Dollar Gewinn eines Wachstumsunternehmens mittlerweile knapp 22 Dollar auf den Tisch legen. So hoch ist aktuell das sogenannte Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) des globalen Aktienindex MSCI World Growth. Das KGV des weltweiten Value-Index MSCI World Value jedoch beträgt lediglich rund 13. Value-Aktien sind also weltweit betrachtet deutlich günstiger als Wachstumswerte.

DAS SAGEN DIE EXPERTEN:

Value-Aktien haben mittlerweile nach Auffassung der US-Bank JPMorgan nicht nur im Vergleich zu Wachstumswerten, sondern auch gegenüber sogenannten Momentum-Strategien einen Preisvorteil. Bei dieser Vorgehensweise investieren Anleger immer in diejenigen Papiere, die zuletzt am besten gelaufen sind und die höchsten Gesamtrenditen abgeworfen haben. Besonders gefragt waren dabei insbesondere solche Aktien, die auch noch recht wenig schwanken. Diese aber sind wegen des jahrelangen Hypes den Experten zufolge bereits deutlich überteuert.

Damit könnte nun endlich die Stunde der Substanzwerte schlagen. Diese schneiden in der Regel besser als Wachstumsaktien ab, wenn die Börse beziehungsweise die Wirtschaft recht lange schwächeln, aber nicht drastisch absacken - und genau diese Szenarien drohen aktuell. In solchen Situationen setzten die Anleger gern auf solide und oft auch dividendenstarke Aktien, die die Chance auf zinsähnliche Erträge bieten. Diese könnten den JPMorgan-Analysten zufolge aktuell besonders gefragt sein, da die US-Notenbank nicht mehr so stark an der Zinsschraube dreht. Allerdings dürfe die Wirtschaft in einem solchen Szenario nicht - wie etwa in der Finanzkrise - in die Rezession abrutschen, mahnten die Experten. Denn dann könnten die Anleger Aktien generell aus dem Depot werfen.

Inmitten der wieder aufgehellten Anlegerstimmung am Aktienmarkt sind auch die Strategen der Banken HSBC und Societe Generale weiter vorsichtig. "Bleiben sie defensiv", riet zum Beispiel HSBC-Experte Volker Borghoff. "Wir befinden uns in einem größeren Abschwung." Die Anleger sollten vor diesem Hintergrund bei der Aktiewahl weiter auf nicht-zyklisches Wachstum und Dividendenstärke setzen.

Auch die SocGen-Experten um Brigitte Richard-Hidden raten, von Wachstumswerten die Finger zu lassen. Sie gehen von weiteren Verlusten in Europas Stoxx Europe 600 sowie dem marktbreiten US-Index S&P 500 und dem Hongkonger Hang Seng aus. Damit werde sogar einer vermuteten Rezession in den USA im kommenden Jahr vorgegriffen, hieß es.

SO HABEN SICH DIE ANLAGESTILE ENTWICKELT:

Der MSCI World Growth hat die Wirren der Weltfinanzkrise in den Jahren 2007 und 2008 schnell weggesteckt und Ende letzten Jahres bei gut 2724 Punkten ein Rekordhoch erreicht. Dann aber sackte das Barometer ab und fiel kurz unter 2200 Punkte, bevor es sich wieder rasch erholte und die Marke von 2400 Punkten zurückeroberte.

Im Gegensatz zum MSCI World Growth war der MSCI World Value bereits zwischen 2003 und 2007 richtig in Fahrt gekommen, bevor er im Zuge der Finanzkrise bis Anfang 2009 auf gut 1000 Punkte absackte. Es folgte dann eine lange Aufholjagd bis zum Rekordhoch bei rund 3000 Punkten Anfang 2018. Beim Rückschlag Ende letzten Jahres und der schnellen Erholung im Januar gleichen sich die Chartbilder dann wieder./la/ag/jha/