London (Reuters) - Der britische Premierminister Boris Johnson und seine Konservative Partei haben bei einem wichtigen Stimmungstest eine schwere Niederlage erlitten.

Bei der Nachwahl im ländlichen North Shropshire setzte sich überraschend die Kandidatin der Liberaldemokraten, Helen Morgan, durch, wie die Auszählung am Freitag ergab. Damit ging für die Tories eine Region verloren, die sie seit fast 200 Jahren fest in der Hand hatten. Johnson, der wegen der Corona-Politik und Skandalen in seiner Partei stark unter Druck steht, zeigte sich reuemütig: Er verstehe voll und ganz die Frustration der Wähler, sagte Johnson vor Journalisten. "Natürlich übernehme ich die persönliche Verantwortung."

"Die Wähler in North Shropshire haben die Nase voll, und sie haben uns einen Tritt verpasst", sagte der Generalsekretär der Konservativen, Oliver Dowden, dem Sender Sky. Die Botschaft sei deutlich gewesen und bei der Partei angekommen. Mit North Shropshire müssen sich die Tories in einem Wahlkreis geschlagen geben, den sie seit seinem Zuschnitt in der heutigen Form 1983 stets gewonnen hatten. Die Briten nutzen Nachwahlen zwar immer wieder, um der regierenden Partei einen Denkzettel zu verpassen. Doch das Ausmaß der Niederlage deutet auf eine tiefe Unzufriedenheit mit Johnsons Regierung hin.

JOHNSON: "ICH NEHME DAS URTEIL IN ALLER DEMUT AN"

Die siegreiche Kandidatin von den politisch in der Mitte angesiedelten Liberaldemokraten sicherte sich das Mandat mit einem Vorsprung von fast 6000 Stimmen. 2019 hatten die Konservativen noch mit 23.000 Voten vorn gelegen. Morgan sagte bei ihrer Siegesfeier, Johnson könne Großbritannien nicht die Führung bieten, die sich das Land so dringend wünsche. Der Premierminister sagte in seiner Reaktion auf das Wahlergebnis, das Votum sei natürlich sehr enttäuschend. "Ich höre, was die Wähler in North Shropshire zu sagen haben und nehme das Urteil in aller Demut an."

Dramatisch zugespitzt hatte sich die Lage für Johnson bereits am Dienstag. Im Unterhaus sah er sich mit einer regelrechten Revolte in den eigenen Reihen konfrontiert, als fast 100 Tory-Abgeordnete gegen die von ihm geforderten neuen Regeln zur Eindämmung der Pandemie stimmten. Zudem steht Johnson wegen steigender Corona-Fallzahlen in der Schusslinie. Schlagzeilen machten auch eine kostspielige Renovierung seiner Wohnung und angebliche Partys seiner Mitarbeiter während des Lockdowns in der Weihnachtszeit 2020. Schließlich gibt es harsche Kritik an Nebenverdiensten konservativer Abgeordneter. In Umfragen fällt die Partei bereits hinter Labour zurück.

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Über das Mandat aus North Shropshire, einem von insgesamt 650 Parlamentssitzen, musste abgestimmt werden, weil der bisherige konservative Abgeordnete im Zusammenhang mit bezahlter Lobby-Arbeit zurücktreten musste. Die Regierung versuchte seinen Abgang noch zu verhindern, indem sie die Regeln im Kampf gegen Korruption im Parlament aufweichen wollte. Der Vorstoß löste aber erst recht eine Debatte über Integrität unter der Führung Johnsons aus und wurde fallengelassen.

Trotz der herben Niederlage bei der Nachwahl verfügen die Tories noch über eine komfortable Mehrheit im Parlament. Sie hatten die Wahl 2019 mit dem Versprechen gewonnen, das Brexit-Votum zügig umzusetzen. Auch die Wähler in North Shropshire waren für den EU-Ausstieg. Johnson selbst sitzt ungeachtet der harschen Kritik auch aus den eigenen Reihen vorerst ebenfalls noch fest im Sattel. Die meisten seiner innerparteilichen Gegner fordern von ihm eine Umkehr in seiner Politik, aber keinen Rücktritt. Die nächste Parlamentwahl steht 2024 an.