Europäisches Parlament

2019-2024

Petitionsausschuss

19.12.2019

MITTEILUNG AN DIE MITGLIEDER

Betrifft: Petition Nr. 0331/2019, eingereicht von Elena Blanco Fuente, spanischer Staatsangehörigkeit, zur Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 833/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der EU

1. Zusammenfassung der Petition

Die Petentin beschwert sich darüber, dass sie seit Mai 2020 aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 833/2004 verpflichtet ist, Sozialversicherungsbeiträge in dem Land zu zahlen, in dem sie ihre Berufstätigkeit ausübt (Portugal), obwohl sie ihre Steuererklärung in Spanien abgibt und auch in diesem Land eingestellt wurde, da sie eine nationale Beamtin ist, die im Rahmen der freiwilligen Mobilität entsandt wurde. Sie erklärt, dass dies ihr Leben und das Leben aller von dieser Verordnung betroffenen Arbeitskräfte erheblich beeinträchtige. Sie ist der Ansicht, dass dies zu einem erheblichen Rückgang ihres Nettogehalts, ihrer Rente und ihrer Sozialleistungen führen werde, da die Bedingungen für die soziale Sicherheit in Portugal nicht die gleichen seien wie in Spanien. Darüber hinaus werde dies auch die von den betroffenen Arbeitskräften erworbenen Ansprüche dahingehend ändern, dass sie nicht behandelt werden können, wenn sie in ihrem Herkunftsland in ein Krankenhaus eingeliefert werden oder ernsthaft erkranken. Sie ist der Ansicht, dass die Verordnung nicht rückwirkend angewandt werden sollte oder dass die Steuerzahler in jedem Fall die Möglichkeit haben sollten, zu wählen, wo sie Sozialversicherungsbeiträge zahlen, damit sie sich für die günstigste Option entscheiden können.

2. Zulässigkeit

Für zulässig erklärt am 30. September 2019. Die Kommission wurde um Auskünfte gebeten (Artikel 227 Absatz 6 der Geschäftsordnung).

3. Antwort der Kommission, eingegangen am 19. Dezember 2019 Anmerkungen der Kommission

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In Vielfalt geeint

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Die Verordnung (EG) Nr. 883/20041 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und ihre Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/20092 zielen auf die Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und den Schutz von Personen ab, die von Kollisionen betroffen sind, die durch die gleichzeitige Anwendung unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften entstanden sind. Beide Verordnungen sehen ein verbindliches, umfassendes und einheitliches System von Kollisionsnormen vor. Die Wirkung dieses Systems besteht darin, dass in jedem Fall das anwendbare Recht im Bereich der sozialen Sicherheit gilt. Weder die Mitgliedstaaten noch die Arbeitgeber oder die einzelnen Bürger können die anzuwendenden Rechtsvorschriften wählen; dies ergibt sich aus den objektiven Kriterien, die in den genannten Verordnungen festgelegt sind. Gemäß dem Grundsatz der Einheitlichkeit der anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegen Personen nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats (Artikel 11 Absatz 1). Im Allgemeinen unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats (Prinzip lex loci laboris).

Auch wenn dies nicht eindeutig aus der Petition hervorgeht, arbeitet die Petentin offenbar als Vertragsbedienstete und nicht als Beamtin in der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung Spaniens in Portugal; Beamte unterliegen nämlich den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die sie beschäftigende Verwaltungseinheit angehört (Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).

In der vorherigen Verordnung (EWG) Nr. 1408/713 war diesbezüglich vorgesehen, dass die Angestellten der diplomatischen und konsularischen Vertretungen den Rechtsvorschriften des Staates unterliegen, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben. Allerdings hatten diese Beschäftigten das Optionsrecht, dass auf sie die Rechtsvorschriften des entsendenden Mitgliedstaats angewendet werden. Durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 wurde diese Möglichkeit abgeschafft. Tatsächlich hat der Unionsgesetzgeber es im Rahmen der Vereinfachung für notwendig erachtet, die Ausnahmen abzuschaffen und einen allgemeinen Grundsatz lex loci laboris einzuführen. Dadurch wurden die regelmäßigen Kollisionen hinsichtlich der Beschäftigten diplomatischer und konsularischer Vertretungen abgeschafft. Sie unterliegen demnach den Regeln des gemeinsamen Rechts, insbesondere den Rechtsvorschriften über den Arbeitsort, außer, wenn sie von dem Entsendungsprinzip Gebrauch machen. Eine Übergangszeit von zehn Jahren (bis Mai 2020) wurde vorgesehen (Artikel 87 Absatz 8 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004). Offenbar hat die Petentin dieses Optionsrecht wahrgenommen, denn sie erwähnt, dass sie ab Mai 2020 der portugiesischen Rechtsprechung unterliegen wird.

Die Kommission weist ebenfalls darauf hin, dass das Unionsrecht einem Erwerbstätigen nicht gewährleisten kann, dass die Ausweitung seiner Tätigkeiten auf mehr als einen Mitgliedstaat

  1. Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Text mit Bedeutung für den EWR und die Schweiz) (ABl. L. 166 vom 30.4.2004, S. 1).
  2. Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Text von Bedeutung für den EWR und die Schweiz) (ABl. L. 284 vom 30.10.2009, S. 1).
  3. Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149 vom 5.7.1971, S. 2).

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oder deren Verlagerung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist. Aufgrund der Unterschiede der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die soziale Sicherheit kann eine solche Verlagerung für den Erwerbstätigen Vorteile oder Nachteile in Bezug auf den sozialen Schutz haben (Urteil in der Rechtssache Hervein, C- 393/99, Randnummer 51).

Schließlich betont die Kommission, dass es den zuständigen Behörden von zwei oder mehr Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erlaubt ist, im gemeinsamen Einvernehmen Ausnahmen von den anwendbaren Vorschriften vorzusehen. Jegliche Übereinkunft, die im Rahmen von Artikel 16 geschlossen wird, erfordert das Einvernehmen der Einrichtungen der betreffenden beiden Mitgliedstaaten und kann nur im Interesse bestimmter Personen oder Personengruppen beschlossen werden. Die administrative Vereinfachung, die durch Übereinkünfte zwischen Mitgliedstaaten erreicht werden kann, darf nicht der einzige Grund dafür sein; das Interesse der betroffenen Personen sollte stets im Vordergrund stehen (Urteile in der Rechtssache Brusse, C-101/83 und in der Rechtssache Van Gestel, C-454/93).

Fazit

Beschäftigte der diplomatischen oder konsularischen Vertretungen unterliegen gemäß den Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EWG) Nr. 987/2009 dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben, und werden (bis 2020) nur in Ausnahme- oder Übergangsfällen durch das System der sozialen Sicherheit des entsendenden Mitgliedstaats gedeckt.

Dennoch ist es den zuständigen Behörden in zwei oder mehr Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erlaubt, im gemeinsamen Einvernehmen Ausnahmen von den anwendbaren Vorschriften vorzusehen, die im Interesse der betroffenen Personen liegen. Die Kommission ist nicht dafür zuständig, diese Mitgliedstaaten zu verpflichten, entsprechend tätig zu werden. Die Petentin wird dazu angehalten, sich an die zuständigen nationalen Behörden zu wenden, damit diese Verhandlungen einleiten können.

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Europäisches Parlament veröffentlichte diesen Inhalt am 30 Januar 2020 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 30 Januar 2020 16:15:00 UTC.

Originaldokumenthttp://www.europarl.europa.eu/doceo/document/PETI-CM-645067_DE.pdf

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