Von Jing Yang

PEKING (Dow Jones)--Jetzt macht Peking Ernst. Nach jahrelangen erfolglosen Vorstößen, multinationale Unternehmen zu einer Börsennotierung in China zu bewegen, versucht Peking, eine lange ruhende Börsenverbindung mit Europa wiederzubeleben. Das Problem: Noch ist kein europäisches Unternehmen mit der Idee einverstanden. Mitte Februar erklärte die chinesische Börsenaufsichtsbehörde, dass sie eine fast drei Jahre alte Verbindung zwischen den Börsen in Schanghai und London auf die Börsen in Deutschland, der Schweiz sowie Shenzhen ausweiten werde. Sie nahm auch Regeländerungen vor, die es europäischen Unternehmen ermöglichen, neue Aktien zu verkaufen und Geld von Anlegern auf dem chinesischen Festland zu beschaffen. Zugleich vereinfachte sie die Anforderungen an die Finanzberichterstattung und Offenlegung.

Die Bemühungen, die auf monatelange Diskussionen mit Börsen, Investmentbanken und Anwaltskanzleien folgten, sollen den chinesischen Markt für A-Aktien für europäische Unternehmen attraktiver machen, so mit der Angelegenheit vertraute Personen. Doch die Änderungen erfolgen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine - der zwei Wochen nach Inkrafttreten des erweiterten "China-Europa Stock Connect"-Programms stattfand - löste eine Reihe von westlichen Handels- und Finanzsanktionen gegen das Land aus. Die ambivalente Haltung Pekings gegenüber dem Krieg hat die Bedenken europäischer Unternehmen, sich auf den chinesischen Finanzmärkten zu positionieren, noch verstärkt. Ein wichtiges Anliegen der europäischen Unternehmen wurde derweil von den chinesischen Regulierungsbehörden nicht angesprochen. Nach chinesischem Recht können Führungskräfte börsennotierter Unternehmen persönlich und strafrechtlich für unternehmerisches Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden. In der Vergangenheit lag die jährliche Verurteilungsquote in China bei mehr als 99 Prozent.


   Ukraine-Krieg macht es Peking schwer 

"Europäische Unternehmen sind eher daran interessiert, in ihre Aktivitäten in China zu investieren, zum Beispiel in den Bau von Fabriken und Anlagen. Sie sind weniger daran interessiert, sich in China börsennotieren zu lassen, da der Papierkram und die Offenlegungspflichten zu kompliziert sind", räsoniert Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China. "Eine mögliche Börsennotierung großer europäischer Unternehmen in China ist im Moment sogar noch unwahrscheinlicher. Das liegt daran, dass der Ruf im eigenen Land angesichts des Krieges zwischen Russland und der Ukraine in Mitleidenschaft gezogen werden könnte", fügt er hinzu. China bemüht sich seit langem um die Börsennotierung ausländischer Unternehmen, damit seine Finanzmärkte weiter mit der Welt integriert und das Profil seiner Börsen geschärft werden.

Die Idee einer internationalen Börsenverbindung, bei der in Schanghai gehandelte Unternehmen in London und in London notierte Unternehmen in Schanghai notiert würden, kam erstmals während des Staatsbesuchs des chinesischen Staatschefs Xi Jinping in Großbritannien im Jahr 2015 auf. Während dieser Reise hoben die beiden Länder ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen hervor und läuteten eine "goldene Ära" für die Beziehungen zwischen China und Großbritannien ein, als Xi und der damalige britische Premierminister David Cameron in einem englischen Pub gemeinsam ein Bier tranken. Die Schanghai-London Stock Connect wurde im Juni 2019 in Betrieb genommen, als die staatliche chinesische Maklerfirma Huatai Securities nach dem Verkauf von sogenannten Globalen Hinterlegungsscheinen (GDRs) in London an die Börse ging. Insgesamt haben vier chinesische Unternehmen, die sich alle in Staatsbesitz befinden, GDRs in London emittiert und damit insgesamt 5,8 Milliarden US-Dollar eingenommen. Seit November 2020 hat es aber keine Neuemissionen mehr gegeben.


   Größter Knackpunkt ist persönliche Haftung für Vorstände 

Das Programm sollte auf Gegenseitigkeit beruhen, aber kein in London notiertes Unternehmen hat sich in China notieren lassen. Der Handel mit den GDRs der vier chinesischen Unternehmen hat sich ebenfalls auf ein Rinnsal verlangsamt. Multinationale Unternehmen wie die global agierenden Banken HSBC und UBS sowie die Industriegiganten BASF, Siemens und VW - allesamt mit wachsenden Geschäftsaktivitäten in China - haben nach Angaben von Insidern bereits über die Notierung sogenannter chinesischer Hinterlegungsscheine in Schanghai nachgedacht. Einige von ihnen zogen dies ernsthaft in Erwägung, entschieden sich dann aber dagegen, sagten die Personen. Ein BASF-Sprecher sagte, das Unternehmen habe keine Pläne für weitere Notierungen. UBS, Siemens und Volkswagen lehnten eine Stellungnahme ab. HSBC reagierte nicht auf eine Anfrage nach einem Kommentar.

Doch es gibt klare Vorteile: Der chinesische A-Aktienmarkt, der groß und liquide ist, hat vielen Unternehmen eine höhere Bewertung verliehen. Die Aufnahme von Börsennotierungen in China könnte multinationalen Unternehmen auch helfen, bei Peking politisch zu punkten, was ihre Geschäftsexpansion in dem Land womöglich begünstigt. Der größte Knackpunkt aus Sicht ausländischer Unternehmen und ihrer Führungskräfte sind die Bestimmungen im chinesischen Wertpapierrecht, die ihre Vorstände und Führungskräfte persönlich für Regelverstöße oder Fehlverhalten der Unternehmen haftbar machen. Einige Verstöße könnten zu strafrechtlichen Anklagen führen.


   Keine Führungskraft will den Kopf hinhalten 

Die Börsen von Schanghai und Shenzhen verlangen von den Direktoren und leitenden Angestellten aller Unternehmen, die eine Börsennotierung planen, die Unterzeichnung seitenlanger Verpflichtungserklärungen. Darin werden sie zur Einhaltung aller Vorschriften angehalten und müssen die Verantwortung für etwaige Verstöße übernehmen. Das hat zur Folge, dass keine Führungskraft den Kopf hinhalten will, um sich in ihrem Unternehmen für das Projekt einzusetzen, wie mehrere Personen berichten, die europäische Unternehmen in dieser Angelegenheit beraten haben. Lijun Sun, Co-Head of Global Banking bei UBS Securities, der chinesischen Wertpapiertochter der Schweizer Bank, meint, dass sich einige europäische Unternehmen mit der Zeit mit der Idee anfreunden.

"Das erweiterte Stock-Connect-Programm ist ein wichtiger politischer Durchbruch, der Chinas Engagement für die Öffnung seiner Finanzmärkte zeigt", sagt er. Bis jetzt waren chinesische Unternehmen viel begeisterter von Pekings Ausweitung der Handelsverbindung auf andere europäische Börsen. Wenige Tage nachdem Vizepremier Liu He erklärt hatte, die Regierung unterstütze nach wie vor Unternehmen, die eine Börsennotierung im Ausland anstreben, erklärten vier chinesische Unternehmen, darunter der Maschinenbaugigant Sany, dass sie die Ausgabe von GDRs an der SIX Swiss Exchange planen. Die Unternehmen wollen mit der Notierung ihre Marken auf den internationalen Märkten stärken. Das immer wiederkehrende Problem des geringen Handelsvolumens in den Monaten nach der ersten Börsennotierung könnte jedoch fortbestehen, da die europäischen Anleger mit chinesischen Unternehmen nicht vertraut sind. Partner Matthias Courvoisier von Baker McKenzie hält die Kommunikation mit den Anlegern für den Schlüssel, um dies zu ändern. "Alle diese Unternehmen haben anständige englische Websites, aber es ist wichtig, dass sie auch kommunizieren, den Investoren ihr Gesicht zeigen und ihr Geschäft erklären."

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April 19, 2022 06:21 ET (10:21 GMT)