HAMBURG (dpa-AFX) - Im Euroraum wird die Inflation nach Einschätzung des Chefvolkswirts des Internationalen Währungsfonds (IWF), Maurice Obstfeld, trotz starker Konjunktur noch einige Zeit vergleichsweise schwach steigen. Immerhin: Nach einer beispiellosen Geldflut führender Notenbanken gebe es mittlerweile Anzeichen, dass die Inflation sich in Richtung der EZB-Zielgröße von mittelfristig knapp zwei Prozent zu bewegen werde, sagte Obstfeld in einem am Mittwoch vorab veröffentlichten Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" (Donnerstagsausgabe).

"In Europa erwarten wir, dass das Inflationsziel von nahe 2 Prozent etwa im Jahr 2020 oder 2021 erreicht wird", sagte Obstfeld. Wegen des starken Aufschwungs in Deutschland geht der IWF-Experte dabei davon aus, dass die Teuerung in der größten europäischen Volkswirtschaft über die Marke von zwei Prozent steigen wird. "Ich denke nicht, dass das notwendigerweise eine schlechte Sache ist, weil Deutschland in der Euro-Zone derzeit unterbewertet ist und einen hohen Handelsbilanzüberschuss hat", sagte der Ökonom. Seiner Einschätzung nach wäre ein weiterer Anstieg der Löhne und der Preise in Deutschland "ein Teil des Anpassungsprozesses in der Leistungsbilanz".

Der IWF hatte in der Vergangenheit immer wieder die hohen Überschüsse in der deutschen Handelsbilanz kritisiert und ein Gegensteuern der deutschen Politik angemahnt. In der jahrelangen Geldflut führender Notenbanken erkennt Obstfeld kein akutes Gefahrenpotential für die Finanzmärkte: "Ich sehe keine Immobilien- oder andere Finanzblasen auf der Welt", sagte er dem Blatt. Kritisch sieht der IWF-Chefvolkswirt vielmehr die Schuldenberge, die sich in vielen führenden Volkswirtschaften auftürmen. "Die hohen öffentlichen Schulden werden die Fiskalpolitik in Zukunft sicher einengen, verglichen mit der Situation vor der Finanzkrise", warnte der Ökonom.

Vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Entwicklungen in den USA sieht der IWF die übrigen Industriestaaten unter Zugzwang. Wegen der US-Steuerreform rechnet Obstfeld mit einem stärkeren Wettbewerb um niedrige Steuersätze für Unternehmen. Das werde Regierungen zwingen, andere Einnahmequellen zu finden.

Nach Einschätzung von Obstfeld geht der robuste Aufschwung in den USA aber nicht auf das Konto des US-Präsidenten Donald Trump, der die Steuerreform zum Jahreswechsel durchgesetzt hatte. "Wir haben bislang keinen wirklichen Politikwechsel oder Veränderungen beim Handel in den USA gesehen. Es gab viel Gerede, viel Rhetorik, aber relativ wenig Aktion", so das Fazit des Ökonomen nach einem Jahr Amtszeit von Trump./jkr/tos/jha/