Hoffen auf den Superzyklus, Analyse zum Ölmarkt von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots) - Die Einwohner von Texas leiden unter dem schweren Wintersturm.
Für viele Finanzinvestoren, die am Ölmarkt engagiert sind, kommt dieser hingegen
wie gerufen. Der Ausfall wichtiger Produktions- und Raffineriekapazitäten hat
die Ölpreise über bedeutende Marken getrieben. Bei der weltweit wichtigsten
Sorte Brent Crude wurde zeitweilig der Preis von 65 Dollar je Barrel
überschritten. Dies ist es der höchste Stand seit rund 13 Monaten.

Die Auswirkungen des harten Wintereinbruchs in dem normalerweise von kaltem
Wetter verschonten Bundesstaat sind in der Tat dramatisch. Mehr als vier
Millionen Einwohner sind seit Tagen ohne Strom und Heizung. Raffinerien und
Ölquellen in Texas sind nicht für Temperaturen unter dem Gefrierpunkt
eingerichtet. In der Folge ist die Förderung von rund 1 Mill. Barrel pro Tag
(bpd) an Rohöl ausgefallen sowie 4 Mill. (bpd) an Raffineriekapazitäten. Es kann
noch mehrere Wochen dauern, bis sämtliche Kapazitäten wieder hochgefahren sind.

Nun führt all das natürlich nicht zu einer Ölknappheit in den USA. Allerdings
haben die Ereignisse für noch mehr Interesse der Finanzinvestoren am Ölmarkt
gesorgt. Sie sind es im Wesentlichen, die den Preis derzeit antreiben - wobei
sie sich auch darauf berufen, dass die Zahl der täglichen weltweiten
Neuinfektionen mit Covid-19 gegenüber dem Spitzenwert um fast zwei Drittel
zurückgegangen ist und dass mit einer baldigen Rückkehr des iranischen Öls an
den Weltmarkt zu rechnen sei.

Der starke Optimismus am Markt sorgt bei so manchem Beobachter für
Kopfschütteln. So schreibt beispielsweise Carsten Fritsch von der Commerzbank
von einer selektiven Informationswahrnehmung, die ein Kennzeichen für Märkte in
Übertreibungsphasen sei: Die Akteure schauten aktuell nur auf Nachrichten, die
für steigende Preise sprechen. Ignoriert würden hingegen fast alle Neuigkeiten,
mit denen sich niedrigere Preise begründen ließen - auch davon gebe es welche.

Andere Analysten hingegen hauen kräftig auf die Pauke und sehen noch ganz andere
Preisanstiege kommen. So halten es die US-Banken J.P. Morgan und Goldman Sachs
für möglich, dass der Ölpreis noch deutlich ansteigt. Von bis zu 100 Dollar
ist
bei einigen Fachleuten die Rede. Dies wäre ein Niveau, dass es zuletzt im Jahr
2014 gegeben hat. Diese Experten rechnen mit einem kräftigen Anschub der
Ölnachfrage durch die äußerst umfangreichen fiskalischen Maßnahmen zur
Stützung
der Konjunktur, die die Biden-Administration durch den Kongress bekommen will.
Da gleichzeitig die Investitionen in die Ölindustrie stark zurückgefahren worden
sind, werde eine jahrelange Unterversorgung des Marktes die Folge sein.

Jeffrey Currie von Goldman Sachs führt noch ein anderes in­teressantes
Ar­gu­ment an. Er erwartet, dass steigende soziale Ungleichheit rund um den
Globus die Regierungen zu mehr Transferzahlungen und eine Politik der
Wiederbelebung der Mittelklasse bewegen wird nach dem Vorbild der "Great
Society" des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson in den 1960er Jahren. Diese habe
den Ölverbrauch deutlich nach oben getrieben. Einige ausgeprägte Optimisten
sagen sogar einen neuen "Superzyklus" der Öl- und Rohstoffpreise voraus, wie es
ihn zuletzt zwischen 2003 und 2014 gegeben hat.

Dabei werden jedoch entscheidende Fakten ausgeblendet. So dürften die USA nicht
an einer echten Deeskalation mit dem Iran interessiert sein, da die
geopolitische Rivalität des Iran mit dem US-Klientelstaat Saudi-Arabien
weiterhin besteht. Zwar gehen die Covid-19-Ansteckungen zurück, was aber bislang
weniger auf die Impfkampagnen, sondern vor allem auf die die Konjunktur
schädigenden Lockdowns zurückzuführen ist - an Impfstoffen herrscht global
betrachtet weiterhin Mangel.

Von zentraler Bedeutung ist zudem, dass die Produzenten des Bündnisses Opec+
nicht an einem starken Anstieg des Ölpreises interessiert sind, weil dies
einerseits zu einer Wiederbelebung der amerikanischen Schieferölindustrie führen
würde und andererseits sich die Öleinnahmen auch durch das Hochdrehen der
Förderung steigern lassen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet bereits über
entsprechende Pläne der Opec+.

Nicht übersehen werden sollte auch, dass es wahrscheinlich nicht zu einem neuen
Superzyklus der Rohstoffpreise kommen wird. Die stark gesunkenen Gewinnmargen in
weiten Teilen der Realwirtschaften rund um den Globus lassen einen weiteren
deutlichen Anstieg der Rohstoffkosten einfach nicht zu.

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/30377/4843492
OTS:               Börsen-Zeitung