Rechtens, nicht gerecht / Kommentar zum Urteil über Amazons
Steuerdeals von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots) - Erst Apple, nun Amazon: Erneut erleiden Europas
Wettbewerbshüter eine krachende Niederlage vor Gericht. Weil die Konzerne mehr
als zweifelhafte Steuerdeals mit Irland und Luxemburg ausgehandelt hatten,
verdonnerte sie EU-Kommissarin Margrethe Vestager zu üppigen
Steuernachzahlungen. In beiden Fällen wurden die Anordnungen jedoch vom
EU-Gericht wieder abgeräumt, da Brüssel, so die Richter, einen belastbaren
Nachweis der unlauteren Reduzierung der Steuerlast schuldig geblieben sei.

Dabei hat die EU-Kommission verwegene Praktiken aggressiver Steuervermeidung
offengelegt. Gewinne wurden verschoben, Lizenzrechte verlagert und ein Geflecht
von Untergesellschaften installiert - mit dem einzigen Ziel, dass die Steuerlast
des Europageschäfts genau dort anfällt, wo kooperationswillige Finanzämter
extrem günstige Steuerbescheide ausstellen.

Bekanntlich ist man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand. Im Fall Amazon
musste Vestager schmerzhaft erleben, dass es nicht reicht, ein System von
Briefkastenfirmen aufzudecken. Denn über die Wertschöpfung eines Briefkastens
lässt sich streiten - zumal, wenn eine Firma die Stirn hat, alle möglichen
Rechte geistigen Eigentums dort zu deponieren. Das ist so unverfroren, als würde
eine Friseurkette die Sitzplätze für wartende Kunden zu "Forschungszentren"
umdefinieren, weil dort Zeitungen ausliegen - nur steuerlicher Vergünstigungen
wegen.

Die Urteile in den Rechtssachen Apple und Amazon zeigen, dass das
Wettbewerbsrecht nur bedingt taugt, um dreiste Steuerdeals zwischen Konzernen
und willfährigen Regierungen zu verhindern. Die Deals, die die Steuerlast für
beteiligte Konzerne völlig unangemessen verringern, mögen noch so sehr
schreiendes Unrecht sein. Formell sind viele von ihnen rechtens.

Vestager muss nach der erneuten Niederlage viel Kritik einstecken. Ihre Vorstöße
hätten, da sie vom Gericht kassiert wurden, im Kampf gegen Steuervermeider
geschadet. Das ist Unfug.

Die Dänin hat mit den Verfahren den Verhandlungen über eine politische Lösung
in
Form verstärkter Transparenz (Stichwort Country-by-Country-Reporting) und in
Form internationaler Standards (Stichwort Mindeststeuer) kräftig Schub
verliehen. Und mal sehen: Die EU-Kommission kann ja Rechtsmittel einlegen.
Allein der Ausgang in der parallelen Rechtssache Engie zeigt, dass Richter bei
Steuerdeals so oder so entscheiden. Weder bei Amazon noch im luxemburgischen
Finanzministerium sollte man die Sache zu früh als erledigt ansehen.

(Börsen-Zeitung, 14.05.2021)

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