Von Jon Sindreu

LONDON (Dow Jones)--Investoren einer Art von ewigen Anleihen wollen offenbar nicht sehr langfristig denken. Vergangene Woche gab die spanische Bank BBVA bekannt, dass sie sogenannte Additional Tier 1 (AT1)-Wertpapiere, die zum harten Kernkapital gezählt werden, im Wert von 1 Milliarde Euro begeben hat. Dieser Markt wurde im März aus den Angeln gehoben, als die Schweizer Aufsichtsbehörden im Zuge der Rettung der Credit Suisse den gesamten Wert ihrer AT1-Papiere in Höhe von 15 Milliarden Franken vernichteten. Drei Monate später erhielt die BBVA Gebote für das Dreifache der angebotenen Emission. Auch die Bank of Cyprus verkaufte vergangene Woche neue AT1-Anleihen. Beide wollten testen, ob die Tür zum AT1-Markt offen ist, und die Antwort war ein klares Ja.

Dies zeigt, wie kurzfristig die Anleger auf dem Anleihemarkt nur in sich gehen. Im März verlor der Bloomberg-Global-Contingent-Capital-Index in nur wenigen Tagen 15 Prozent seines Wertes. Ein großer Grund zur Sorge: Die Schweizer Aufsichtsbehörden hatten die Aktien der Credit Suisse nicht aus dem Markt genommen, was gegen den Vorrang von Schuldtiteln vor Aktien zu verstoßen schien.

Seit Anfang März haben die Anleger Verluste eingefahren und die AT1-Papiere rentieren jetzt mit mehr als 8 Prozent. Aber was den Spread über den Zinssätzen angeht, sind AT1-Anleihen wieder auf dem Niveau von 2022 und in etwa auf dem Niveau der Jahre 2014 bis 2016. Dies ist wichtig, da AT1-Anleihen auf eine eigenartige Weise funktionieren.

Zu bestimmten Terminen haben die Emittenten die Möglichkeit, die Anleihe zu kündigen. Tun sie dies nicht, werden die Kupons auf den Spread zurückgesetzt, den sie bei der Emission hatten, zuzüglich des variablen risikofreien Fünfjahreszinssatzes. Für die BBVA, die im September eine AT1-Anleihe in großem Umfang kündigen musste, würde die Finanzierung also ohnehin teurer werden. Tatsächlich ist der Aufschlag für die jüngste Emission geringer als für die ältere Anleihe.


   Märkte haben im März wohl überreagiert 

Kurz gesagt: Wenn man die Auswirkungen der Zinserhöhungen der Zentralbanken berücksichtigt, könnten die Banken tatsächlich günstigere AT1-Finanzierungen erhalten. Die europäischen Aufseher haben die AT1-Anleihen nach der Finanzkrise von 2008 so konzipiert, dass die Kreditgeber automatisch ihr Kapital aufstocken, sobald eine bestimmte Kennzahl unter einen kritischen Schwellenwert rutscht. Damit sie als Kapital gelten, müssen diese Anleihen unbefristet sein, aber die Banken fanden auch einen Weg, um sie für traditionelle Bondinvestoren attraktiv zu machen, die es gewohnt sind, ihr Geld zurückzubekommen. Gewöhnlich zahlen sie den Inhabern regelmäßig Geld zurück, wenn die Kündigungstermine fällig werden. Diese Regelung trug dazu bei, dass der Markt auf 250 Milliarden Dollar anschwoll.

Sind die Anleger zu gleichgültig? Die allgemeine Meinung ist, dass die Befürchtungen im März übertrieben waren, da die Behörden nur wegen der in den Schweizer Verträgen enthaltenen Formulierungen die Möglichkeit hatten, die AT1-Anleihen der Credit Suisse zu löschen. Viele AT1-Anleihen werden bei Auslösung in Eigenkapital umgewandelt. Sie werden dann also nicht auf null abgeschrieben, und die Aufsichtsbehörden in der EU sowie in Großbritannien versichern, dass Anleihen erst dann Verluste tragen, wenn das Eigenkapital abgeschrieben wurde.

Doch damit wird der Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Die Auswirkungen auf AT1-Anleihen der UBS, die die Credit Suisse aufkaufte, waren zwar etwas penetranter, aber trotzdem nicht sehr groß. Generell ist die Umwandlung in Eigenkapital eines Kreditgebers, der kurz vor der Pleite steht, nicht viel besser als eine Abschreibung. Und die Credit Suisse hat gezeigt: Das Vertrauen in eine Bank kann schnell schwinden und dann fällt es kaum ins Gewicht, dass die Kreditgeber heute über große Kapitalpuffer verfügen. Außerdem ist klar geworden, dass die Aufsichtsbehörden immer frühzeitig eingreifen, um die Finanzstabilität zu wahren, und dann die AT1-Inhaber auslöschen, um die Bank leichter verkaufen zu können. Ob die Aktionäre wie im Fall der Credit Suisse mit den Resten dastehen oder wie im Fall der spanischen Banco Popular den ganzen Schmerz mittragen müssen, dürfte für die Anleihegläubiger keinen großen Unterschied machen.


   AT1-Anleihen sind äußerst komplex und kompliziert konstruiert 

Hinzu kommt die komplizierte Natur der AT1-Anleihen. Wäre der Markt in den kommenden Monaten eingefroren geblieben, hätten sich viele große Banken, die mit Zahlungsaufforderungen konfrontiert waren - unter anderem BBVA, Barclays, HSBC und UBS - dafür entscheiden können, diese nicht auszulösen.

Allerdings ebnet der Erfolg der BBVA auch den Weg für das Gegenteil. Die Banken werden die Gelegenheit wahrscheinlich nutzen, um ihre Anleihen zu refinanzieren und dann zu kündigen, was noch mehr Käufer anlockt. Wenn es nicht zu einer weiteren Bankenpanik kommt, könnten sich die Anleger weiter für AT1-Anleihen mit vorzeitigen Kündigungsterminen erwärmen. Wenn es um das langfristige Gleichgewicht zwischen Risiko und Ertrag geht, scheint der Markt die Lektion jedoch nicht zu verinnerlichen.

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June 20, 2023 09:32 ET (13:32 GMT)