Von Alistair MacDonald und Laurence Norman

LONDON (Dow Jones)--Einige der größten westlichen Ölgesellschaften könnten ins Fadenkreuz von Sanktionen geraten, die derzeit von den Regierungen ihrer Länder gegen Russland ausgearbeitet werden. Die USA und Europa erwägen keine direkten Sanktionen gegen russische Erdöl- und Erdgasexporte, da sie befürchten, dass diese die ohnehin schon hohen Energiekosten in Europa weiter in die Höhe treiben könnten. Beamte haben jedoch mögliche, weitreichende Beschränkungen für Technologietransfers und Exportkontrollen nach Russland skizziert, wie das Wall Street Journal (WSJ) berichtete.

Solche Sanktionen könnten, wenn sie weit genug gefasst werden, allen in Russland tätigen Unternehmen, einschließlich der Töchter und Partner dieser westlichen Energieunternehmen, den Zugang zu wichtigen Ausrüstungen und Know-how erschweren. Die EU zieht unterdessen direktere Maßnahmen in Erwägung, darunter die Einschränkung der Finanzierung neuer Gasexplorationen und -produktionen im Land sowie die Ausweitung bestehender Verbote des Technologietransfers speziell im Energiesektor, so ein hoher europäischer Beamter.

Auch der russische Bankensektor sei ein Ziel, berichtete das WSJ, was dem Öl- und Gassektor, den er mitfinanziert, schaden könnte. Der britische Ölgigant BP besitzt fast 20 Prozent des russischen Ölproduzenten Rosneft. Sein Konkurrent Shell und der US-Konzern Exxon Mobil. bohren nach Erdgas und Öl auf Feldern um die Insel Sachalin im Fernen Osten Russlands. Die in Großbritannien notierte Glencore besitzt einen Teil der Muttergesellschaft eines großen russischen Aluminiumherstellers und handelt mit russischen Metallen und Öl.

Die Spannungen in der Ukraine haben auch positive Auswirkungen auf den Sektor: Wenn eine Invasion oder ein kleinerer Einfall die Versorgung einschränkt und die Öl- und Gaspreise in die Höhe treibt, könnten die großen westlichen Produzenten davon profitieren. Große Händler könnten auch von der Art von Preisschwankungen profitieren, die häufig mit solchen geopolitischen Spannungen einhergehen.


BP ist am stärksten betroffen 

Von den großen Öl- und Gaskonzernen ist BP nach Ansicht von Analysten am stärksten betroffen. Das Unternehmen hält einen Anteil von 19,7 Prozent an Rosneft und hat drei Joint Ventures mit dem russischen Unternehmen. J.P. Morgan schätzt, dass etwa 9 Prozent des Nettoinventarwerts von BP in Russland engagiert sind, verglichen mit einem europäischen Branchendurchschnitt von 5 Prozent.

Die Rosneft-Beteiligung macht auf konsolidierter Basis rund 30 Prozent der BP-Produktion aus, und die Dividenden von Rosneft dürften in diesem Jahr einen beträchtlichen Teil des freien Cashflows des britischen Unternehmens ausmachen, so Biraj Borkhataria, Co-Leiter der europäischen Energieforschung bei der Royal Bank of Canada. "BP ist von den großen Ölkonzernen bei weitem am stärksten in Russland engagiert", sagte er. BP lehnte eine Stellungnahme ab.

Exxon ist auch in Russland aktiv. Exxon ist mit 30 Prozent an einem 12 Milliarden Dollar schweren Projekt in der Nähe von Sachalin beteiligt, das zu den größten ausländischen Investitionen in Russland überhaupt zählt. Das Projekt war von der letzten Runde der Sanktionen im Jahr 2014 weitgehend unberührt. Exxon erklärte, es beobachte die aktuelle Situation.

Shell wiederum ist mit 27,5 Prozent an einem großen Offshore-Gasprojekt in der Nähe von Sachalin beteiligt, das zu 50 Prozent der russischen Gazprom gehört und rund 4 Prozent des weltweiten Flüssigerdgases liefert. Shell lehnte eine Stellungnahme ab.


Handelshäuser wappnen sich für Sanktionen 

Rohstoffhandelshäuser, die russisches Öl, Aluminium und andere Ressourcen an den Rest der Welt verkaufen, sind eng mit dem Land verflochten. Die Handelsriesen Trafigura Group, Vitol Group und Glencore gehören nach Angaben von mit der Angelegenheit vertrauten Personen zu den größten Händlern von russischem Öl. Im Jahr 2020 erwarb Trafigura einen Anteil von 10 Prozent an Vostok Oil, einem von Rosneft betriebenen arktischen Ölprojekt. Ein von Vitol geführtes Konsortium erwarb 2021 einen Anteil von 5 Prozent.

Die Händler der großen Handelshäuser bereiten sich nach eigenen Angaben auf mögliche Sanktionen vor, indem sie die möglichen Auswirkungen der verschiedenen Runden durchgehen und überlegen, wie sie ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen können. Es bestehe die Gefahr, dass sie russisches Rohöl zurückbehielten, das die europäischen Raffinerien plötzlich nicht mehr kaufen wollten, heißt es.

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January 29, 2022 10:44 ET (15:44 GMT)