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Tristan Horx, Zukunfts- und Trendforscher

F: Als Trend- und Zukunftsforscher gehört der Begriff Vision zum Tagesgeschäft. Welche Rolle spielen Visionen für unser Leben?

Horx: Beim Thema Visionen beschäftigen wir uns sehr mit dem Thema Utopie und Dystopie, und was für ein Bild der Zukunft wir zeichnen. Als Gesellschaft haben wir es verlernt, eine Vision zu haben. Ich bin sehr in der Generationenforschung verhaftet. Dazu passt, dass ich gerade erst ein Interview mit drei neunjährigen Schülerinnen für eine Schülerzeitung hatte. Ich fragte, wie sie die Zukunft sehen. Sie haben Angst.

Genau das wurde vor kurzem in einer globalen Studie gezeigt: Die Generation Z sieht nur den Weltuntergang, die haben extreme Angst vor der Zukunft. Daran sieht man, dass das Thema Vision dringend wieder in den Diskurs eingebracht werden muss. Wir müssen als Gesellschaft sinnvolle und positive Zukunftsvisionen zeichnen, denn ohne ein Ziel ist die Reise schwer. Derzeit ist die Zukunftsvision, die gezeichnet wird, dass wir im Idealfall die Vermeidung eines Weltuntergangs schaffen. Das motiviert doch niemanden. Gerade in unsicheren Zeiten brauchen wir eine Vision. Man könnte sagen, die Stunde der Vision schlägt jetzt.

F: Wie gehen Sie vor, wenn Sie Zukunftstrends oder Zukunftsvisionen prognostizieren. Worauf stützen Sie sich?

Horx: Einerseits habe ich das Privileg, dass auf meiner englischen Familienseite alle Historiker sind und historische Bücher schreiben. Ich kann diverse Muster somit in der Vergangenheit schon mal analysieren und sehen. Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich schon. Andererseits ist es mit Trend- und Gegenwartsanalysen, mit klassischen prognostischen Tools und wenn man sich die gegenwärtigen Zahlen vor Augen führt, die nicht inflationär rumgeballert wer - den, gar nicht mehr so schwer, eine Prognose zu treffen. In jeder Prognose stecken allerdings subjektive Biases. Jede Prognose, die man trifft, inkludiert Wunschdenken - gerade wenn es darum geht, positive Visionen zu vermitteln. Es gilt, diese Biases so stark wie möglich zu reduzieren. Völlig objektive Prognosen gibt es nicht.

F: Rückblickend, wie oft lagen Sie mit Ihren Visionen bereits richtig?

Horx: Ganz oft besteht meine Aufgabe darin, Leuten klar zu machen, dass das, was sie für einen Megatrend halten, eigentlich nur ein Hype ist. Zum Beispiel, ob dieses oder jenes Tech Gadget - z. B. Google Glass - das nächste große Ding ist. Da fällt mir als Zukunftsforscher die Prognose schon einfacher. Aber ich lag natürlich auch schon falsch - zu Beginn von Corona, habe ich gesagt, dass wir doch bereits einige vermeintliche Pandemien auf dem Tisch hatten: Ebola, zwei andere SARS - Viren und so weiter, warum sollte es jetzt genau dieses Coronavirus sein. Und dann ist passiert, was passiert ist. Ich glaube, dass diese Pandemie systemisch notwendig war. Die klare Offenlegung von Themen, die wir als Zukunftsforscher seit Jahren trommeln, aber die nicht schmerzhaft genug sichtbar waren. Wie beispielsweise die Frage nach der Wertschätzung von systemrelevanten Berufen, - z. B. werden jetzt die Rache der Trucker in Großbritannien sichtbar oder die Engpässe in der Pflege in vielen europäischen Ländern spürbar - die Sichtbarkeit sozialer Missstände, was Digitalisierung kann und was nicht. Meine Generation rebellierte für mehr Sinn in der Arbeit und wünschte sich flexibles Arbeiten und Homeoffice. Wir hatten lange vor Corona versucht, das als wichtiges Thema zu etablieren.

F: Welche Vision haben Sie für die Zukunft - sagen wir 2050?

Horx: Für dieses Jahr gab es immer die Prognose, dass 75 Prozent der Menschen in glitzernden Gigametropolen leben werden. Das wurde durch Corona etwas entschleunigt. Wir haben gemerkt, es muss mehr Grün in der Zukunftsgleichung geben. Da hatte meine Branche einen blinden Fleck, denn die Zukunft, die wir gezeichnet haben, war stets urbanisiert, metropolisiert und sehr digital. Ich sehe im Jahr 2050 etwas mehr Harmonie von Natur, Kultur, Technologie und Zivilisation, geprägt aber gleichzeitig von maßgeblicher Mobilität. Nach ein paar Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin, glaube ich, dass dann 2050 auch der Weltraumtourismus richtig zünden wird. Wenn wir bis dahin alles andere ökologisiert haben, können wir so viel Treibstoff wie wir wollen in die Raketen stopfen. Von manchen Kollegen meiner Branche werden Sie noch hören, dass wir dann alle gechipt sein werden. Dafür gibt es aber in Österreich z. B. noch keine rechtliche Grundlage. Wenn wir 2050 auf das Thema Arbeit zurückschauen, werden wir denken: Wow, da haben wir uns damals aber versklaven lassen. Und wir werden uns rückblickend an den Kopf greifen, was das Thema Massentierhaltung angeht und uns ziemlich schlecht fühlen.

F: In Ihrem Buch "Unsere Fucking Zukunft" schreiben Sie darüber, warum wir für den Wandel rebellieren müssen. Dass das Zeitalter neuer Generationenverträge jetzt beginnt. Wie wird dieses Zeitalter aussehen?

Horx: Die Babyboomer, die angeblich so böse Generation, haben viel getan. Da gab es z. B. den Kampf für Gleichberechtigung oder den Kampf, Atomkraftwerke abzuschaffen. Sie haben für dieselben Sachen gekämpft und gönnen jetzt der jüngeren Generation ihre Rebellion nicht, weil sie sagen: Wir haben doch eine super Welt für euch gebaut. Das stimmt, aber man muss jeder Generation ihre Rebellion erlauben. Für die Jüngeren sind die Babyboomer spießig und regressiv. Das ist genau das, was die Babyboomer damals über ihre Eltern dachten. Wir haben aber nicht mehr die Zeit, in diesem Generationenkonflikt lange zu diskutieren. Es ist viel mehr eine Frage der Kommunikation zwischen den Generationen, als es unterschiedliche Wertevorstellungen sind.

F: In einer Welt der Digitalisierung, wo KI immer bedeutender wird, welche Zukunft sagen Sie Banken und dem Kapitalmarkt voraus? Wird es irgendwann keine KundenbetreuerInnen geben, weil diese Arbeit von KI/Robotern übernommen werden kann?

Horx: Das Backend wird immer digitalisierter werden - möglicherweise durch KI. Wenn man als Bank überleben will, muss man schauen, wo sich die zwischenmenschliche Komponente findet und wie viel Technologie ich den Kundinnen und Kunden zumuten kann. Banken beschäftigen sich mit Fragen der Sicherheit - und Sicherheit ist etwas zutiefst Zwischenmenschliches. Darauf muss man setzen.

F: Um noch kurz beim Bank- bzw. Geldthema zu bleiben: Ihre Vision der Zukunft von Bargeld?

Horx: Bargeld wird es weiterhin geben, aber nur als Nischenprodukt. Beispielsweise wird die alte Kulturform des Feilschens auf dem Flohmarkt bestehen bleiben. Dort bezahlt man dann noch mit Bargeld. Außerhalb dieser Nischen sehe ich den Vorteil von Bargeld nicht.

F: Nachhaltigkeit als Zukunftsthema. In welcher Rolle sehen Sie dabei Banken?

Horx: Banken können unglaublich viel beisteuern. Was wie wo und wann finanziert wird, ist maßgeblich dafür entscheidend, was produziert wird und was die Konsumierenden am Ende vor sich liegen haben. Wenn die Zinsen nicht irgendwann zurückkommen, braucht es für die Jüngeren andere Anreize. Ein 18-Jähriger wird sein Geld nur dann auf die Bank bringen, wenn es für nachhaltige Zwecke verwendet wird. Diese Generation hat am meisten Angst vor der Zerstörung unseres Planeten - und wenn sie dann weder Zinsen noch Nachhaltigkeit bekommen, werden sie ihr Geld wohl lieber unter der Matratze lagern.

F: Ist "ESG" nur eine Modeerscheinung und einfach nur ein hippes Label für Unternehmen oder macht es wirklich einen Unterschied zum Erreichen der globalen Klimaziele?

Horx: Wir brauchen so ein Funktionslabel, eine Art Gütesiegel - auch bei ökologischen Fragen. Wirkliche Nachhaltigkeit ist erst erreicht, wenn man ökologisch-hedonistisch sein kann, also intelligent verschwenden kann. Wenn die Kreisläufe so funktionieren, dass ich mir nicht bei jedem Konsum die Frage stellen muss: Bin ich jetzt ein schlechter Mensch? Auf dem Weg in diese Zukunftsvision ist eine Art Gütesiegel nötig. Corona ist eine Blaupause dafür, wie wir die Klimakrise in den Griff bekommen können. Durch eine soziale Verhaltensveränderung kauft man sich Zeit für eine technologische Innovation. Im Kontext von Corona waren das die diversen Lockdowns und die Impfung. Bei der Nachhaltigkeit wird es unter anderem in Richtung Konsumverhalten gehen. Mehr Recycling oder Upcycling, das uns Zeit verschafft, um Technologien zu entwickeln, die uns dabei unterstützen, unsere Erde zu retten.

F: Corona - die Pandemie als alles dominierendes Thema. Die Welt hat sich in den zwei vergangenen Jahren sehr verändert: mehr Homeoffice, Konsumverhalten, das sich stark auf online verlagert hat, die Digitalisierung boomt mehr als je zuvor usw. Welche Zukunft erwartet uns nach Corona?

Horx: Corona wird irgendwann zu einer endemischen Krankheit werden. Was das Konsumverhalten Online Shopping vs. Shoppen im Geschäft betrifft, kann man einen Gegentrend erwarten. Es wird eine Differenzierung geben - wenn ich etwas schnell haben will, dann kaufe ich es online. Wenn ich hingegen eine Einkaufserfahrung möchte, dann gehe ich in den Store. Grundsätzlich kann ich zum Thema der digitalen Aufholjagd nur sagen, dass die Bildung das dringend nötig hatte. Auch die Arbeitswelt hatte das dringend nötig - Thema Homeoffice und mehr Flexibilität. Die Pandemie hat aber auch gezeigt, was man nicht digitalisieren kann. Nämlich zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Digital Drinking Partys, wo online gemeinsam gefeiert wurde, haben relativ schnell gezeigt, dass man nicht alles digitalisieren kann. Der große Gewinner der Coronakrise wird die Nachhaltigkeitsbewegung sein. Niemand kann jetzt mehr sagen, das können wir nicht. Innerhalb von zwei Wochen haben wir unseren Konsum reduziert, die Wirtschaft runtergefahren, acht samer konsumiert und gelernt, besser hauszuhalten. Und Homeoffice sowieso - wer jetzt nicht verstanden hat, dass Corona uns langsam aus dem Industriezeitalter ins Wissenszeitalter befördert, den muss der freie Markt irgendwann ausscheiden. Zum Thema Urbanisierung vielleicht noch etwas: Vor dem Lockdown wollten 35 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen in Wien leben - danach nur mehr 25 Prozent. Und 33 Prozent der 16- bis 36-Jährigen würden aus der Großstadt wegziehen, wenn man ihnen eine dauerhafte Homeoffice-Möglichkeit gibt. Das ist das erste Mal, dass wir Stadtflucht erleben.

F: Wir nähern uns dem Jahresende. Für viele von uns ist das der Zeitpunkt, sich Gedanken über die eigene Zukunft zu machen. Was wird uns das Jahr 2022 bringen?

Horx: Das hängt sehr von der Entwicklung der Pandemie ab. Die schlausten Leute, die ich dazu kenne, haben mir gesagt, nach zwei Jahren wird Corona endemisch. Es wird 2022 somit einen Tag geben, an dem wir nicht mehr täglich die Fallzahlen sehen werden. Wir müssen uns 2022 aber zwei großen Fragen widmen. Erstens: Wie gehen wir mit Informationen im Netz um? Die 15 Prozent der Gesellschaft, die wir im Netz verloren haben - also die Querdenker und Schwurbler - die werden nicht zurückkommen, sondern sich dort ein neues Thema suchen. Wir müssen herausfinden, wie wir am besten damit umgehen. Zweitens: Wie gehen wir künftig mit sozialer Ungleichheit um? Nach den Klimaprotesten wird das das große Thema. Wenn Sie jetzt als Generation Z auf den Arbeitsmarkt kommen und das Glück haben, in einem bezahlten Praktikum zu sein, dann müssen Sie zwei Drittel ihres Gehalts für Wohnkosten ausgeben. Die einzige Chance auf Kapital überhaupt ist Erben. Das hat leider nichts mit Chancengleichheit zu tun. Das muss der nächste große Kampf sein. Vielleicht ist 2022 aber einfach auch nur das Jahr zum Durchatmen.

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Raiffeisen Bank International AG published this content on 25 January 2022 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 25 January 2022 15:46:09 UTC.