Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Anleger müssen sich auf eine länger andauernde Phase erhöhter Volatilität an den Börsen einstellen. Der DAX hat sich zuletzt von Kursen von unter 15.000 auf knapp 15.500 erholte. Das spricht für eine baldige Gegenbewegung. Das Umfeld bleibt schwierig: Bei nicht nachlassender Inflation schwächt sich das Wirtschaftswachstum ab. Das Schreckgespenst einer Stagflation macht die Runde. Bislang reagieren die Zentralbanken gelassen, aber wie lange noch?

Die Konjunkturdaten in der kommenden Woche dürften kaum dazu angehalten sein, die Stimmung an den Märkten zu heben. Es zeichnet sich ab, dass sich das chinesische Wachstum im dritten Quartal weiter abgeschwächt hat. Die Unternehmen leiden unter den stark gestiegenen Energiepreisen, während der Privatkonsum strauchelt, wie aus dem jüngsten Einbruch der PKW-Verkäufe deutlich wird. Auch regionale Lockdowns wegen Covid drücken auf die Stimmung - die Commerzbank rechnet nur noch mit einem Wachstum von 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal.


   Stagflation ist ein Albtraumszenario für die Börsen 

Nicht besser ist die Lage in Europa, was die in der kommenden Woche anstehenden Einkaufsmanagerindizes unterstreichen sollten. Hier ist mit einer Abschwächung zu rechnen, wenngleich die Indizes auch weiterhin klar über der Expansionsschwelle von 50 liegen werden. Neben dem Mangel an Vorprodukten wegen defekter Lieferketten drücken auch hier die hohen Energiekosten. Der Stahlkonzern Arcelor hat jüngst bekannt gegeben, wegen der hohen Energiepreise teilweise die Produktion einzustellen.

Durch die Kombination aus langsamerem Wachstum und höherer Inflation steigt das Risiko einer Stagflation. Aus Marktsicht ein Albtraumszenario. Erinnerungen an die 70er-Jahre werden wach mit ganz ähnlicher Ausgangslage. Damals fielen die Bewertungen an den Börsen ins Bodenlose - eine klare Warnung an die heutigen Anleger. Die massive monetäre Unterstützung durch die Notenbanken verhindert bislang eine schärfere Korrektur an den Börsen.


   Zentralbanken wollen es bislang bei Kosmetik belassen 

Die Zentralbanken bleiben bislang ihrem Mantra treu, dass sich die massiven Inflationssprünge als vorübergehendes Phänomen erweisen werden. Zunehmend zweifeln die Anleger aber an diesem Narrativ. Deutlich wird dies an zuletzt gestiegenen Renditen an den Anleihemärkten. Zwar gilt es als ausgemacht, dass die US-Notenbank bald mit einer Reduktion der Anleihekäufe beginnen wird. Mehr als Kosmetik ist dies aber nicht. Die Gefahr besteht, dass die Zentralbanken durch einen andauernden Preisdruck zu einer plötzlichen Verschärfung der Geldpolitik gezwungen werden.

Ob es so weit kommt, weiß aktuell niemand. Zu viel Vertrauen in das Urteil der Zentralbanken sollte man jedenfalls nicht haben. Es mehren sich die Hinweise, dass sich die Inflation als hartnäckiger erweisen wird als gedacht: Die Opec zeigt bislang keine Bereitschaft, die Produktion auszuweiten, und auch die Probleme bei den Lieferketten - ein weiterer Preistreiber - wollen nicht weichen. Der Möbelgigant Ikea hat diese Woche davor gewarnt, dass der Materialmangel voraussichtlich bis weit ins kommende Jahr andauern wird.


   Margendruck bei Unternehmen zu befürchten 

Die Unternehmen werden die gestiegenen Kosten nur anteilig an die Verbraucher weiterreichen können. Das spricht für zunehmenden Margendruck. Spannend wird in diesem Zusammenhang die nun beginnende Berichtssaison für das dritte Quartal. Neben den Geschäftszahlen stehen hier vor allem die Ausblicke im Blick. Es steht zu befürchten, dass nicht wenige Unternehmen sich zu den weiteren Aussichten zurückhaltender äußern werden. Angesichts der äußerst ambitionierten Bewertungen an den Börsen besteht mithin Korrekturpotenzial.

Vieles spricht für volatilere Zeiten. Die Investoren sollten dies aber als Chance begreifen und Kursrückgänge zur Aufstockung von Portfolios nutzen. Auch zarte Engagements in Gold drängen sich auf: In den 70/80er-Jahren schaffte es erst Fed-Präsident Paul Volcker durch eine Anhebung der Leitzinsen auf fast 20 Prozent (!) das Gespenst der Inflation auszutreiben. Ähnliche Zinsniveaus sind angesichts der massiv überschuldeten Staaten heute nicht mehr vorstellbar. Sich vor Geldentwertung zu schützen wird in Zukunft sehr viel schwieriger werden.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

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October 15, 2021 06:30 ET (10:30 GMT)