Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Die französischen Parlamentswahlen haben aus Börsensicht ihren Schrecken weitgehend verloren. Nachdem der DAX kurzzeitig mit der Unterstützung um 18.000 Punkte kämpfte, nimmt er langsam wieder Anlauf auf das Allzeithoch bei 18.893 Punkten. Die jüngsten Umfragen legen nahe, dass der rechtsextreme Rassemblement National (RN) nach der Stichwahl am kommenden Sonntag über keine absolute Mehrheit verfügen wird. Daneben haben zuletzt schwächere Konjunkturdaten die Zinssenkungsfantasie neu belebt, was die Stimmung an den Aktienmärkten zusätzlich aufgehellt hat. Den nächsten größeren Impulsgeber könnte die bald beginnende Berichtssaison liefern.

Die jüngsten Umfragen lassen aufatmen. Laut Ifop, so die Deutsche Bank, kann der RN mit 210 bis 240 Sitzen im neuen Parlament rechnen. Das wäre aber deutlich unter den 289 Sitzen, die notwendig wären für eine absolute Mehrheit. Das Umfrageinstitut Harris erwartet, dass die Partei von Marine Le Pen sogar auf nur 190 bis 220 Sitze kommen wird. Die Finanzmärkte haben auf die Zahlen mit fallenden Risikoprämien reagiert. Die vielbeachtete Zinsdifferenz zwischen 10-jährigen französischen und deutschen Staatsanleihen ist in der Zwischenzeit wieder auf 69 Basispunkte geschrumpft nach 80 Basispunkten vor Bekanntgabe der Ergebnisse der ersten Wahlrunde.


   Kurzfristig könnte es mit der Volatilität wieder nach oben gehen 

Mit Blick auf die zweite Runde der französischen Wahlen könnte den Finanzmärkten nächste Woche mehr Volatilität bevorstehen: "Kurzfristig dürften wir - gerade, aber nicht nur in Frankreich - eine politisch dominierte Börse erleben", sagt Robert Greil. Der Chefstratege von Merck Finck rechnet vor allem im Falle einer absoluten rechtsextremen Mehrheit mit erhöhter Volatilität, "was jedoch aus unserer Sicht auf Basis des 1. Wahlgangs und der Entwicklungen seither unwahrscheinlicher geworden ist: Wir rechnen mit einem Parlament ohne echte Mehrheit und damit deutlich schwierigeren weitreichenden politischen Entscheidungen in Frankreich - darauf ist der Markt aber vorbereitet."

Aber nicht nur Umfragen haben zu der jüngsten Entspannung an den Börsen geführt. Frühindikatoren weltweit haben zuletzt enttäuscht. "So ist in Deutschland der Ifo-Index überraschend von 89,3 auf 88,6 gefallen, und der Einkaufsmanagerindex für die Industrie im Euroraum ist von 47,3 auf 45,8 gerutscht. In den USA hat in dieser Woche der Einbruch des ISM-Index für den Dienstleistungssektor von 53,8 auf 48,8 aufhorchen lassen, und auch in China ist der Caixin-Einkaufsmanagerindex für die Dienstleister unerwartet kräftig von 54,0 auf 51,2 gefallen", merkt die Commerzbank an. Bisher haben die Aktienmärkte positiv auf schwächere Konjunkturdaten reagiert, da diese die Wahrscheinlichkeit für schon bald stärker sinkende Leitzinsen erhöhen.


   Finanzmärkte preisen verstärkt zwei Zinssenkungen in den USA ein 

Der neuen Zinssenkungsfantasie dürften die in der kommenden Woche anstehenden US-Preisdaten nicht entgegenstehen. Im ersten Quartal sorgte in den USA ein Inflationsschub für Aufregung. Seitdem hat sich die Lage wieder etwas beruhigt, was die Preisdaten für den Juni bestätigen dürften, glaubt die Commerzbank. Zwar sei der Inflationsdruck immer noch zu hoch. Aus Sicht der US-Notenbank dürften diese Zahlen die Sicherheit aber etwas erhöhen, dass die Inflation nachhaltig auf ihr Ziel von 2 Prozent sinkt, was die US-Notenbank regelmäßig als Voraussetzung für Zinssenkungen nennt. Die Commerzbank glaubt, dass die Fed die Zinsen erstmalig im Dezember senken wird. An den Finanzmärkten wird aber verstärkt eine erste Senkung im September eingepreist.

Zugleich warnt die Commerzbank. Sollten sich die Konjunkturenttäuschungen in den kommenden Wochen und Monaten fortsetzen, sehen die Analysten die Gefahr, dass schwächere Konjunkturdaten schließlich die Aktienkurse doch nach unten drücken, da sich die Perspektiven für die Unternehmensgewinne immer stärker eintrüben würden. Derzeit entwickelten sich die Gewinnerwartungen an den Aktienmärkten jedoch weiterhin sehr robust. Unternehmensanalysten gehen unverändert davon aus, dass die DAX-Unternehmen ihre Gewinne im Geschäftsjahr 2024 um 1 und im Geschäftsjahr 2025 um 11 Prozent steigern werden. Für den Euro-Stoxx-50 liege das erwartete Gewinnwachstum bei 2 und 9 Prozent.


   Unternehmen vermutlich auf Wachstumspfad zurückgekehrt 

Wie es an den Börsen weitergeht, dürfte in nicht unerheblichem Maße vom Verlauf der bald beginnenden Berichtssaison abhängen. Nach fünf Quartalen mit einem negativen Gewinnwachstum, dürften die europäischen Unternehmen im zweiten Quartal wieder auf den Wachstumspfad zurückgekehrt sein. Laut der Bank of America wird im Konsens erwartet, dass die Unternehmen aus dem Stoxx-600 die Gewinne um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert haben. Im ersten Quartal wiesen die Unternehmen noch ein negatives Wachstum von minus 3 Prozent auf. Mit den Umsätzen soll es um 2 Prozentpunkte nach oben gegangen sein, mit der Marge um 1 Prozentpunkt. Vor allem Unternehmen aus dem Energiebereich, gefolgt von Versorgern und Telekomunternehmen sollen zu den höheren Gewinnen beigetragen haben.

Die Bewertung am deutschen Aktienmarkt stuft die Commerzbank weiterhin mit "neutral" ein. Auf Basis der Erwartungen der Analysten für die kommenden zwölf Monate habe der DAX aktuell ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 und ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,5. "Damit sind diese Kennzahlen etwa 5 Prozent niedriger als ihr Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Die erwartete DAX-Dividendenrendite beträgt aktuell 3,3 Prozent, womit sie immer noch 80 Basispunkte höher ist als die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe von 2,5 Prozent", so die Analysten. Von der Bewertungsseite senden die Börsen derzeit also keine Warnsignale aus.

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July 05, 2024 07:01 ET (11:01 GMT)