Von Carol Ryan

LONDON (Dow Jones)--Europa entwöhnt sich schrittweise von russischem Öl und Gas. Die nächste Phase, die Raffinerie-Produkte wie Diesel und Kerosin betrifft, könnte neue Probleme bereiten und den hiesigen Raffinerien fette Gewinne bescheren.

An diesem Wochenende stellt die EU die Einfuhr von Erdölerzeugnissen aus Russland ein. Dies folgt auf das Verbot von Rohöllieferungen Anfang Dezember und das Kohleembargo vom August. Das Rohölverbot zeigte trotz einiger Befürchtungen keine große Wirkung. Anstatt das weltweite Angebot zu verringern und die Preise in die Höhe zu treiben, wurde russisches Öl, das früher in die EU floss, nach Indien und China umgeleitet. Eine ähnliche Umschichtung könnte nun auch bei den Raffinerieprodukten stattfinden. So wandert womöglich der für Europa bestimmte russische Kraftstoff stattdessen nach Lateinamerika und Afrika.

Allerdings scheint der Markt auf dieses Verbot nicht so gut vorbereitet zu sein wie auf das Verbot für Rohöl, insbesondere für Diesel. Europa bezieht mehr als die Hälfte seiner Dieselimporte aus Russland, und bisher wurde nur wenig umgelenkt. Zwei Wochen vor Ablauf der Frist für das Rohölembargo am 5. Dezember umschifften bereits rund 50 Prozent der für Europa vorgesehenen Lieferungen den Kontinent, was die Störungen bei Inkrafttreten des Embargos auf ein Minimum reduzierte. Vor zwei Wochen hatten dagegen laut einer Analyse von Goldman Sachs nur 10 Prozent der Dieselströme eine neue Heimat gefunden. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass es schwieriger wird, neue Märkte für raffinierte Erdölprodukte zu finden als für Rohöl. "Russischer Diesel muss viel weiter transportiert werden", erläutert Alan Gelder von der Beratungsfirma Wood Mackenzie. "Wenn es eine Einschränkung gibt, dann bei der Verschiffung." Während der Kreml in der Lage war, die inoffizielle Flotte zu nutzen, die das Öl von sanktionierten Ländern wie dem Iran transportiert, gibt es für Erdölprodukte nicht die gleiche Art von Netzwerk.


  Es droht eine Energieinflation für Europas Verbraucher 

Die so genannten Crackspreads für Diesel in Europa, die die Differenz zwischen dem Rohölpreis und den Kosten für Diesel anzeigen, waren in letzter Zeit sehr volatil. Der Spread liegt derzeit bei etwa 33 US-Dollar pro Barrel, gegenüber 48 Dollar Ende vergangenen Monats. Und der Rückgang in den letzten Tagen könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Händler nicht erwarten, dass sich das Verbot so störend auswirkt wie befürchtet. Aber die Crackspreads sind immer noch mehr als doppelt so hoch wie vor dem Krieg in der Ukraine, wie aus Daten von S&P Global hervorgeht.

Wenn der russische Diesel nicht auf neue Märkte gelangen kann und damit andere Lieferungen für Europa frei werden, dürfte eine Verknappung eine weitere Energieinflation für die europäischen Verbraucher lostreten. Da die EU-Umweltvorschriften Dieselfahrzeuge seit Jahren fördern, fahren etwa 40 Prozent der Pkw auf europäischen Straßen mit diesem Kraftstoff. Derweil sind es in den USA weniger als 10 Prozent, wo Diesel hauptsächlich für den industriellen Transport verwendet wird. Auch Flugzeugtreibstoff könnte teurer werden, insbesondere wenn die Chinesen nach Ende der Corona-Lockdowns wieder auf Reisen gehen.


  EU macht Fortschritte beim Loslösen von russischem Öl und Gas 

In diesem Szenario wären die Gewinner die Raffinerien, die bereits im Vorjahr hohe Gewinne erzielten. Aktien wie die von Tupras und Saras stiegen sich in diesem Jahr um jeweils 11 Prozent und 28 Prozent, da die Anleger mit fetten Margen rechnen. In den USA ansässige Raffinerien wie Valero würden ebenfalls profitieren, zumal sie niedrigere Energierechnungen haben als ihre europäischen Konkurrenten. Europas integrierte Ölkonzerne wie Shell und BP sind in der Regel nicht sehr stark im Raffineriegeschäft engagiert, obwohl die spanische Repsol eine Ausnahme ausmacht, da etwa 30 Prozent ihrer Gewinne aus diesem Segment stammen. Fast ein Jahr nach Beginn des Krieges in der Ukraine macht die EU Fortschritte beim Befreiungsschlag von der russischen Energieversorgung. Dabei mutet es ironisch an, dass es mehr Flüssigerdgas als je zuvor von dem Land kauft, um die Pipelines zu ersetzen, die der Kreml im vergangenen Sommer abgeschaltet hat. Für die Weltwirtschaft bleibt zu hoffen, dass die Region auf den jüngsten Stresstest genauso gut reagiert wie auf den vorerst letzten. Sollte dies nicht der Fall sein, können die Raffinerien den Investoren eine Absicherung bieten.

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February 06, 2023 03:13 ET (08:13 GMT)