BERLIN (dpa-AFX) - Industriepräsident Dieter Kempf hat der Politik einen Schlingerkurs in der Corona-Krise vorgeworfen und vor einem "harten Runterfahren" der Wirtschaft gewarnt. Kempf sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die deutsche Wirtschaft braucht in der Corona-Krise endlich einen roten Faden für mehr Verlässlichkeit. Nur mit einer mittelfristigen Perspektive wird die Politik ein wiederholtes Auf und Ab vermeiden. Der Stop-and-Go-Kurs von Bund und Ländern bei den Corona-Regeln schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern droht auch die Stimmung in der Gesellschaft zu trüben."

Ein "hartes Runterfahren" sei nicht immer die beste Lösung, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. "Es ist entscheidend, dass die politisch Verantwortlichen bei unterschiedlichen Infektionsgeschehen unterschiedlich reagieren."

Die Politik müsse aufpassen, in der Pandemiebekämpfung ihren Kompass nicht zu verlieren. "Auf Sicht zu fahren ist eine schlechte Entschuldigung für einen Schlingerkurs. Bürgerinnen und Bürger müssen sich ebenso wie Unternehmen darauf einstellen können, welche Maßnahmen ergriffen werden, wenn das Infektionsgeschehen zu- oder abnimmt", sagte Kempf. "Nachvollziehbarkeit und Planbarkeit schaffen Akzeptanz."

Wegen anhaltend hoher Infektionszahlen verschärfen mehrere Bundesländer ihre Corona-Beschränkungen mit Blick auf den Jahreswechsel. Die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina empfahl einen "harten Lockdown". Vom 24. Dezember bis mindestens 10. Januar sollte in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen. Bund und Länder hatten zuletzt beschlossen, den Teil-Lockdown bis 10. Januar zu verlängern - mit zwischenzeitlich möglicher Lockerung vom 23. Dezember bis 1. Januar.

Kempf sprach sich für dezentrale Reaktionsmöglichkeiten aus. "Ich wünsche mir von Bund und Ländern einen größeren Werkzeugkasten, den sie zentral festlegen." Bestandteile seien Impfung, Tests, Hygienemaßnahmen und wirtschaftliche Unterstützung. "Welche Module Gemeinden, Kreise und Länder herausziehen, müssen sie je nach Schwere der Infektion vor Ort entscheiden, damit die Betriebe auch in schwierigen Lagen weiterlaufen können. In jedem Fall muss alles dafür getan werden, dass die hochproduktive Wertschöpfung der Industrie weitergeht. Das ist kein Selbstzweck, sondern wir müssen auch in der Krise die zentrale Basis unseres Wohlstandes erhalten."

Um an einzelnen Orten mit hohem Infektionsgeschehen einer diffusen Pandemieentwicklung entgegenzuwirken, müssten frühzeitig Cluster identifiziert werden, sagte Kempf: "Warum greift man hierfür zur Isolierung der Cluster nicht in stärkerem Maße zu statistischen Stichproben und verknüpft diese mit Antigen- und Rachenspül-Schnelltests?"

Diese seien zwar mit Blick auf Spezifität und Sensitivität nicht unumstritten, so Kempf. "Aber dann wüsste man beispielsweise in einer Schule schnell, welche Klassen betroffen sind. Es gibt auch Fälle, in denen Menschen noch keine Krankheitssymptome aufweisen, zur Arbeit gehen und so andere unbewusst anstecken. Diese müssen schnell identifiziert werden, um spontane Betriebsschließungen zu vermeiden."/hoe/DP/zb