Berlin (Reuters) - Trotz der von Bund und Ländern beim Corona-Gipfel beschlossenen Lockdown-Lockerung wird die deutsche Wirtschaft Ökonomen zufolge im ersten Quartal schrumpfen - und zwar deutlich.

Das Bruttoinlandsprodukt dürfte von Januar bis März um 1,8 Prozent zum Vorquartal fallen, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer am Donnerstag. Auch sein Kollege Holger Schmieding von der Berenberg Bank rechnet mit einem Minus in dieser Höhe, nachdem es im Schlussquartal trotz beginnenden Lockdowns noch zu einem Wachstum von 0,3 Prozent gereicht hatte. ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski erwartet einen "Einbruch der Konjunktur". Das erhoffte Anziehen der Wirtschaft in den kommenden März-Wochen dürfte ausbleiben. Industrie und Exporte würden wohl weiter gut laufen und der Bau, mit Ausnahme von wetterbedingten Ausfällen im Februar, auch. Der Konsum aber, der schon im Dezember eingebrochen und auch im Januar schlecht gelaufen sei, dürfte bremsen.

Ifo-Präsident Clemens Fuest sieht die aktuelle Lage nicht so pessimistisch, sondern sorgt sich eher um die langfristigen Folgen der Pandemie für Europas größte Volkswirtschaft. Das Wachstum dürfte "nahe bei Null" liegen, sagte er. "Vielleicht kommt auch was Positives heraus." Durch den Lockdown liege derzeit nur etwa drei Prozent an Wertschöpfung still. Die Industrie habe sich zuletzt gut entwickelt. Sorgen bereitet dem Ifo-Chef der ausgefallene Unterrichtsstoff. Das habe "massive, messbare Auswirkungen auf Lebenszeiteinkommen". Diese seien weit höher als der kurzfristige Ausfall an Wertschöpfung, die bei drei Milliarden Euro pro Woche liege. Es bestehe die Gefahr, dass die Kluft zwischen Gut- und Schlechtausgebildeten sich noch vertiefen werde. Fuest ist deshalb dafür, die Sommerferien zu verkürzen, um Schulstoff aufholen zu können.

Scharfe Kritik an den Ergebnissen des Corona-Gipfels kommt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Die Lockerungen werden einen signifikanten Schaden für Gesundheit und auch für die Wirtschaft verursachen", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. "Eine starke dritte Infektionswelle wird wahrscheinlicher, was zu einem Jo-Jo-Effekt mit erneuten Einschränkungen führen könnte." Schlimmer als die Restriktionen der vergangenen Monate sei für Unternehmen jedoch die fehlende Planungssicherheit.

Einig sind sich die Experten darin, dass ein kräftiger Frühjahrsaufschwung möglich ist. Die deutsche Wirtschaft habe bereits im vergangenen Sommer gezeigt, wie schnell sie sich erholen könne, wenn die Beschränkungen fallen, sagte Krämer. "Hinzu kommt, dass die Deutschen während des Lockdowns notgedrungen hohe Ersparnisse gebildet haben, die sich auf rund sechs Prozent ihrer jährlich verfügbaren Einkommen belaufen." Der Commerzbank-Chefökonom rechnet deshalb für das zweite Quartal mit einem Wachstum von vier Prozent. Für 2021 insgesamt geht er von 4,5 Prozent aus und ist damit deutlich optimistischer als die Bundesregierung, die mit drei Prozent rechnet.

Bund und Länder hatten am Mittwoch beschlossen, den Lockdown bis zum 28. März zu verlängern. Gleichzeitig wurden aber weitere Öffnungsschritte in Aussicht gestellt. Nächste Woche sollen zum Beispiel Buch- und Blumenläden sowie Gartencenter unter Hygieneauflagen und Kundenzahlbegrenzungen wieder aufmachen können. Für körpernahe Dienstleistungen sowie Fahr- und Flugschulen gilt dies auch, aber dort werden tagesaktuelle Schnell- oder Selbsttests für Kunden und ein Testkonzept für das Personal vorgeschrieben.