Washington/Berlin (Reuters) - Der US-Arbeitsmarkt boomt auch nach dem Zinsstakkato der Notenbank und macht damit weitere große geldpolitische Schritte der Fed wahrscheinlich.

Im vergangenen Monat entstanden 372.000 neue Jobs, wie die Regierung am Freitag in Washington mitteilte. Von Reuters befragte Volkswirte hatten lediglich mit 268.000 gerechnet. Die getrennt ermittelte Arbeitslosenquote verharrte auf dem Vormonatswert von 3,6 Prozent, was Vollbeschäftigung entspricht. Die Fed will die ausufernde Inflation bekämpfen und nimmt dafür eine Abkühlung der Wirtschaft und somit des Jobmarkts in Kauf. US-Währungshüter Raphael Bostic erklärte, er sehe den Weg für einen weiteren kräftigen Zinsschritt von einem Dreiviertel-Prozentpunkt Ende Juli frei.

Die Fed könne dies wagen, ohne lange währende Schäden für die Wirtschaft befürchten zu müssen, sagte der Chef des Fed-Bezirks Atlanta. Die robusten Jobdaten verstärkten zugleich die Zinssorgen der Anleger. Die Aktienmärkte gaben einen Teil ihrer Kursgewinne ab, die US-Futures bauten ihre Verluste aus. Gleichzeitig drohte der Kurs des Euro erstmals seit 2002 wieder unter die Marke von einem Dollar zu rutschen.

Die vom US-Arbeitsministerium veröffentlichten Zahlen für Juni zeigen auch, dass das Lohnwachstum mit 5,1 Prozent auf einem hohem Niveau bleibt. "Allerdings reicht das Lohnplus nicht, um die Inflationsrate von zuletzt 8,6 Prozent auszugleichen", so VP Bank-Chefökonom Thomas Gitzel. In realer Betrachtung verbleibe ein Lohnminus. "Gerade deshalb sind beim US-Konsum derzeit keine großen Sprünge zu erwarten. Die US-Bürger werden den Gürtel enger schnallen müssen - trotz der guten Entwicklung am Arbeitsmarkt."

In der Summe ist der heutige Arbeitsmarktbericht sicherlich nicht das, was sich die Börsianer erhofft haben", sagte Portfoliomanager Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners. Er zeige zwar eine anhaltende wirtschaftliche Dynamik, aber eben auch ein weiterhin hohes Lohnwachstum, das die US-Notenbank zu weiteren zügigen Straffungen zwinge.

NICHTS VON REZESSION ZU SPÜREN

Angesichts des starken Jobmarkts und der zugleich hohen Inflation hatte die Notenbank Fed die Leitzinsen zuletzt bereits so kräftig angehoben wie seit 1994 nicht mehr. Sie beschloss eine Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte auf die Spanne von 1,50 bis 1,75 Prozent. Es war bereits die dritte Anhebung in diesem Jahr. Für die Sitzung Ende des Monats fassen die Währungshüter eine weitere ins Auge, da die Inflation zuletzt mit 8,6 Prozent weit über ihr Ziel von 2,0 Prozent hinausgeschossen war. Ende Juli könnte es bei den Zinsen um 0,5 oder 0,75 Prozentpunkte nach oben gehen, zumal bei der nächste Woche anstehenden Inflationsrate für Juni ein Anstieg auf 8,7 Prozent erwartet wird.

Fed-Chef Jerome Powell hat auch eine Zinserhöhung um einen vollen Prozentpunkt nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Investoren an den US-Börsen treibt in jüngster Zeit verstärkt die Angst vor einem Abwürgen der Konjunktur durch aggressive Zinserhöhungen um.

Von einer drohenden Rezession sei allerdings noch nichts zu spüren, so die Volkswirte der Commerzbank. Sie verweisen darauf, dass die Beschäftigung über die Branchen hinweg auf breiter Front zunahm. Insgesamt betrug der Stellenaufbau in den vergangenen vier Monaten relativ konstant jeweils knapp 400.000. "Dies ist insofern auffällig, da die Beschäftigung inzwischen fast das Niveau vor der Pandemie wieder erreicht hat, es fehlen nur noch 524.000 Stellen", so die Commerzbank-Ökonomen Christoph Balz und Bernd Weidensteiner. Es sollte daher immer schwerer fallen, offene Stellen zu besetzen. Tatsächlich stünden den 5,9 Millionen Arbeitslosen 11,3 Millionen offene Stellen gegenüber.

(Bericht von: Lucia Mutikani, Ann Saphir and Lindsay Dunsmuir, geschrieben von Reinhard Becker, Anika Ross, Mitarbeit Klaus Lauer, redigiert von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)