NEUBIBERG (awp international) - Der Chiphersteller Infineon wagt den bisher grössten Übernahmeversuch seiner Geschichte. Der Dax-Konzern will für neun Milliarden Euro den US-Konkurrenten Cypress Semiconductor übernehmen. "Damit steigt Infineon in die Top 10 der Halbleiterhersteller weltweit auf", schwärmte Vorstandschef Reinhard Ploss am Montag. Bei Chips für die Autoindustrie sieht er Infineon sogar auf dem Sprung an die Weltspitze. Doch an der Börse hält sich die Begeisterung in Grenzen - auch weil sich der Dax-Konzern bald frisches Kapital beschaffen will.

Am Vormittag verlor die Infineon-Aktie fast sieben Prozent an Wert und erreichte damit den tiefsten Stand seit Herbst 2016. Nach dem Kursrutsch der vergangenen Monate kommt das Unternehmen damit nur noch auf einen Börsenwert von gut 17 Milliarden Euro. Commerzbank-Analyst Florian Treisch und sein Kollege Jürgen Wagner vom Investmenthaus Mainfirst lobten zwar den strategischen Sinn der Cypress-Übernahme. Den Kaufpreis halten sie allerdings für recht hoch.

"Es ist ein stolzer Preis, da ist kein Zweifel", räumt auch Infineon-Chef Ploss ein. Allerdings habe sein Unternehmen im Vergleich zu Wettbewerbern den Vorteil, dass es diese Summe trotz des Abschwungs in der Branche finanzieren könne. Hätten andere eine ähnlich gute Ausgangsposition gehabt, wäre der Preis noch höher ausgefallen, schätzt Ploss.

Tatsächlich bietet Infineon den Cypress-Aktionären 23,85 US-Dollar je Anteil. Das entspricht den Angaben zufolge einem Aufschlag von 34 Prozent zum Schlusskurs vom Freitag und von 46 Prozent auf den Durchschnittskurs der vergangenen 30 Handelstage.

Für die Gesamtsumme hat sich Infineon bereits Kreditzusagen von Banken gesichert, auch eigene Barmittel sollen in die Übernahme fliessen. Rund 30 Prozent des Kaufpreises - also rund 2,7 Milliarden Euro - will das Management aber später durch neues Eigenkapital ersetzen, damit das Unternehmen seine gute Bonitätsnote bei den Ratingagenturen behält.

Wie genau er das Eigenkapital besorgen will, hielt sich Finanzchef Sven Schneider am Montag offen. Es könne etwa auf eine Kapitalerhöhung mit oder ohne Bezugsrecht oder auf eine Pflichtwandelanleihe hinauslaufen. Infineon habe keinen Zeitdruck, denn die Kreditzusagen der Banken liefen über fünf Jahre. Infineon hat sich bereits die Unterstützung der Cypress-Führungsspitze gesichert und will die Übernahme spätestens Anfang 2020 abschliessen. Dazu müssen die Aktionäre das Angebot aber erst annehmen. Vor allem müssen auch die zuständigen Aufsichtsbehörden der Übernahme zustimmen.

Mit Blick auf die US-Kartellbehörde und den Sicherheitsausschuss (CFIUS), der für die Prüfung ausländischer Investitionen in den USA zuständig ist, zeigte sich Ploss allerdings zuversichtlich. Er habe "definitiv ein sehr gutes Gefühl", was die Genehmigung anbelange. Cypress biete auch keine Produkte an, die wegen möglichen Einsatzes im Rüstungsgeschäft eine Export-Genehmigung benötigten. An diesem Punkt stellt sich der Sicherheitsausschuss gern quer.

Zuletzt hatte Infineon mit den USA schlechte Erfahrungen gemacht. Die 2016 angekündigte Übernahme der Cree-Tochter Wolfspeed für 850 Millionen Dollar kam wegen des Widerstands der US-Regierung nicht zustande. Besser lief es ein paar Jahre zuvor. Anfang 2015 schloss Infineon den rund drei Milliarden US-Dollar teuren Kauf des US-Unternehmens International Rectifier ab. Es war die bisher grösste Übernahme des 1999 von Siemens ausgegliederten und ein Jahr später an die Börse gebrachten Unternehmens.

"Die geplante Übernahme von Cypress ist ein grosser und richtungsweisender Schritt bei der strategischen Weiterentwicklung von Infineon", sagte Infineon-Chef Reinhard Ploss. Die Technologieportfolien beider Gesellschaften ergänzten sich und eröffneten grosses Potenzial in den wachstumsstarken Zielmärkten Automotive, Industrie und Internet der Dinge (IoT). Gerade im Bereich der "Instant on"-Speicher, die beim Start blitzschnell aus dem Halbschlaf erwachen, sieht er grosse Chancen - etwa beim Einsatz in autonom fahrenden Autos.

Durch den Zukauf würde der Konzern aus Bayern nach eigenen Angaben zur Nummer acht unter den Chip-Herstellern weltweit aufsteigen. Zugleich sieht sich Infineon damit als künftige Nummer eins bei Chips für den Automobilmarkt.

Ploss erwartet, dass die positiven Umsatzeffekte durch die Übernahme langfristig bei mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Zusätzlich sieht er ein Sparpotenzial von jährlich 180 Millionen Euro. Nach der Transaktion peilt er ein Umsatzwachstum von mehr als neun Prozent an. Die Segmentergebnis-Marge soll statt bisher 17 Prozent künftig 19 Prozent erreichen, die Investitionsquote soll hingegen auf 13 Prozent schrumpfen.

Beides liege am Geschäftsmodell von Cypress, erläuterte Ploss. So hätten die Amerikaner einen grossen Teil der Fertigung an andere Firmen ausgelagert und daher selbst einen geringeren Investitionsbedarf. Von diesem Modell würde nach einer Übernahme auch Infineon profitieren.

Cypress Semiconductor ist in den vergangenen Jahren unter anderem dank einer Übernahme stark gewachsen. 2018 setzte der Konzern rund 2,5 Milliarden Dollar (2,2 Mrd Euro) um und verdiente dabei 355 Millionen Dollar. Infineon kam im Geschäftsjahr 2017/18 auf einen Umsatz von 7,6 Milliarden Euro - der Gewinn lag bei 1,1 Milliarden Euro. Die Marge auf Basis des Segmentergebnisses erreichte 17,8 Prozent. Infineon hatte zuletzt vor allem auf Wachstum aus eigener Kraft gesetzt und steckt deshalb auch viel Geld in den Werksausbau in Österreich./zb/stw/elm/fba