Von Jinjoo Lee

HERZOGENAURACH (Dow Jones)--Der neue Vorstandsvorsitzende von Adidas, Björn Gulden, sitzt erst seit Kurzem im Sattel, aber sein erster Schritt - die Messlatte niedrig anzulegen - erweist sich als eine ziemlich solide Strategie für die Aktie des Unternehmens.

Die ersten Monate waren für den neuen CEO nicht einfach. Erst im Januar übernahm er die Führung bei dem Sportartikelhersteller, nachdem das Unternehmen in schweres Fahrwasser geraten war: seit 2021 der Boykott durch chinesische Konsumenten im Zusammenhang mit der Better Cotton Initiative westlicher Textilhersteller nach Berichten über Zwangsarbeit von Textilarbeitern in der chinesischen Provinz Xinjiang. Dann kam noch der Bruch mit dem Rapper Kanye West im vergangenen Jahr.

Gulden hat 2023 als Übergangsjahr bezeichnet, bevor das Unternehmen wieder in Schwung kommen kann. Ein wichtiges Ziel: der Abbau von Lagerbeständen - vor allem die Yeezy-Restbestände loszuwerden, die Adidas aus der beendeten Partnerschaft mit Kanye West noch übrig hat. Auch sollen Rabattverkäufe begrenzt werden.

Die Fortschritte sind durchwachsen. In der Telefonkonferenz am Freitag sagte Adidas, dass die Lagerbestände im Vergleich zum Vorquartal insgesamt um etwa 300 Millionen Euro gesunken sind. Analysten hatten einen Abbau um etwa 420 Millionen Euro mehr erwartet. Gleichzeitig sagte Adidas, dass speziell die Yeezy-Bestände auf etwa 500 Millionen Euro angewachsen sind und damit etwa 100 Millionen Euro höher als im Vorquartal waren. Grund seien Yeezy-Produkte gewesen, deren Produktionsprozess Adidas nicht storniert hatte.

Dennoch waren die Ergebnisse von Adidas insgesamt besser als die niedrige Messlatte, die Gulden in seiner ersten Telefonkonferenz zu Beginn dieses Jahres angelegt hatte. Das Unternehmen gab bekannt, dass der Umsatz im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr auf währungsbereinigter Basis gleich geblieben ist. Das hörte sich zumindest gefälliger an als der Rückgang von 4 Prozent, mit dem die Analysten in der Konsensprognose gerechnet hatten. Der operative Gewinn (Betriebsgewinn) lag bei 60 Millionen Euro und damit über den Erwartungen. Das reichte aus, um die Adidas-Aktie am Freitag um 7 Prozent steigen zu lassen.

Im Heimatmarkt Europa konnte Adidas glänzen. Hier stieg der Umsatz währungsbereinigt um 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In China sank der Umsatz auf derselben Basis hingegen um 9,4 Prozent. Damit waren die Umsätze in der Region im Jahresvergleich das achte Quartal in Folge rückläufig. Dennoch war die Entwicklung besser als von der Wall Street erwartet. Dort war man von einem Rückgang um 12 Prozent ausgegangen.

Hoffnungsschimmer gibt es auch: Adidas hat in China begonnen, wieder Partnerschaften mit lokaler Prominenz einzugehen, und dem Unternehmen zufolge hat die Wiederöffnung Chinas mehr Menschen zum Sport zurückgebracht.

In Nordamerika ging der Umsatz zwar um 19,6 Prozent zurück, doch war dies angesichts der Bedeutung der Marke Yeezy in diesem Markt größtenteils erwartet worden. Adidas hat zudem mit Absicht weniger Produkte in die Regale gestellt, um die Lagerbestände zu reduzieren und gleichzeitig die Rabatte begrenzen zu können.

Die Marke muss den Erfolg ihrer neuen Strategie, die sich stärker auf Sportartikel konzentriert, erst noch unter Beweis stellen. Diese Neuausrichtung hat Gulden bereits bei seinem früheren Arbeitgeber Puma erfolgreich durchgesetzt. Ein gutes Zeichen ist sein klarer Blick auf das Unternehmen, der sich in der sehr konservativen Prognose für 2023 widerspiegelt.

Während der Telefonkonferenz räumte Gulden Defizite von Adidas im Vergleich zu Nike ein. Er sagte, dass der Konkurrent eine viel bessere Arbeit geleistet habe, indem er anders als Adidas an weniger, dafür aber beständigeren Sneaker-Linien festhielt. Adidas habe mit einigen seiner Schuh-Linien ein ständiges Rein und Raus betrieben.

Er glaube aber auch, dass Adidas nicht dasselbe, zentralisierte Modell haben könne wie Nike. Während Nike die amerikanische Straßenkultur präge und dann exportiere, besitze Adidas' Heimatland Deutschland keine ähnliche Kultur, die sich auf andere Märkte übertragen lasse. Das bedeute, dass Adidas mehrere "Kreationszentren" in Städten wie Los Angeles, Tokio und Shanghai haben werde. Das sei zwar weniger kosteneffizient, aber es sei der bessere Weg, um die Verbraucher zu erreichen.

Wie das Wall Street Journal berichtet hat, sehen die Anleger in Gulden einen CEO, der näher am Produkt ist als sein eher finanzorientierter Vorgänger. Die Berufung von Gulden hat die Adidas-Aktie bereits deutlich belebt, obwohl sie immer noch mit dem 1,4-fachen des Zwölf-Monats-Umsatzes gehandelt wird. Das entspricht einem Abschlag von 61 Prozent gegenüber Nike.

Anleger, die nach einer Underdog-Story suchen, könnten diese in Adidas finden - zu einem sehr vernünftigen Preis.

Kontakt zur Autorin: unternehmen.de@dowjones.com

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(END) Dow Jones Newswires

May 08, 2023 04:20 ET (08:20 GMT)