Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Die Luftfahrt bietet ein beredtes Beispiel für die Rücknahme von Fortschritten bei der Globalisierung. Investoren werden für Flugzeuge zur Kasse gebeten, die am falschen Ort geparkt sind.

Diese Woche behauptete Moskau, dass es fast 800 Verkehrsflugzeuge von den Bermudas und Irland in seine eigenen Luftfahrtbücher umregistriert hat. Der Grund: Das Land eignete sich die Maschinen als Reaktion auf die Aufforderung der EU an Leasinggeber an, Verträge mit russischen Fluggesellschaften bis zum heutigen Montag zu kündigen. Nach offiziellen Angaben haben westliche Leasinggeber nur 78 ihrer Jets nach Russland zurückgebracht. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Ishka sitzen dort jetzt rund 480 Jets im Wert von etwa 10 Milliarden US-Dollar fest.

Das irische Unternehmen Aercap hat die meisten Jets in Russland in Betrieb, so das Analyseunternehmen IBA. Relativ gesehen führt jedoch das US-Unternehmen Fortress Transportation and Infrastructure Investors die Liste mit 23 Prozent seines Portfolios an, das vom Krieg betroffen ist. Die Aktien sind in diesem Jahr um 17 Prozent bzw 16 Prozent abgestürzt. Anleger besitzen auch 67 russische Flugzeuge über Asset-Backed Securities (ABS), die von Unternehmen wie Carlyle und Castlelake verwaltet werden. Nach Angaben von Ishka-Analysten wurden vorrangige Schuldverschreibungen einiger russlandlastiger ABS mit bis zu 70 Cent pro Dollar gehandelt.


In vielen Fällen greift Versicherungsschutz 

Flugzeugeigentümer sind häufig gegen Sachschäden, Kriege und Beschlagnahmungen versichert. Laut Fitch könnten die Versicherer - die meisten von ihnen gehören zu Lloyd's of London - am Ende fast mit der gesamten Rechnung dastehen, wobei 30 bis 40 Prozent durch Rückversicherer gedeckt werden. Fitch erwartet, dass die Auswirkungen überschaubar sein werden.

Warum also kaufen die Anleger nicht nach dem Einbruch Aktien von Leasinggebern und ABS? Vielleicht ist das Ökosystem der Flugzeugfinanzierung einfach nicht auf jahrelange Rechtsstreitigkeiten vorbereitet. Obwohl das Modell des Flugzeugleasings bereits in den 1970er Jahren entwickelt wurde, kam es erst in den 1990er Jahren zum Durchbruch und umfasste schließlich die Hälfte der weltweiten Flotte. Die Leasinggeber sind in einer Ära der globalisierten Luftfahrt und der geopolitischen Ruhe aufgewachsen, in der Verträge wie das Kapstädter Übereinkommen von 2001 über bewegliches Eigentum ihnen ein falsches Gefühl der Sicherheit gaben.

Der gesunde Menschenverstand lässt vermuten, dass Moskau mit seiner Weigerung, die Flugzeuge zurückzugeben, gegen die Regeln verstoßen hat. Russische Beamte bieten jedoch an, die Leasingraten zu zahlen oder die Flugzeuge sogar zu kaufen. Es sind die westlichen Unternehmen, denen ihre Regierungen nicht erlauben, Zahlungen aus Russland anzunehmen.

Die Rechtslage ist also unklar und kann von Faktoren wie dem Zeitpunkt der Stornierung von Versicherungen oder sogar davon abhängen, wer die Flugzeuge betreibt. Bei einer staatlichen Fluggesellschaft wie Aeroflot könnte es einfacher sein, die Verstaatlichung geltend zu machen, so einige Leasinggeber. Banken und Versicherer hoffen, dass ein beträchtlicher Teil der verlorenen Vermögenswerte eines Tages wiedererlangt werden kann. Sie werden wahrscheinlich enttäuscht sein.


Auch über den Wolken ist die Welt nicht grenzenlos 

Der Wert eines Flugzeugs hängt davon ab, wie lückenlos technische Aufzeichnungen vorliegen, anhand derer Betreiber und Finanziers dessen Lufttüchtigkeit bestimmen können. Nach Schätzungen von Professor David Yu von der New York University kostet das Aufspüren von Lücken in den Aufzeichnungen oft etwa 3 Millionen Dollar pro Flugzeug, und wenn man sich der Kontrolle westlicher Aufsichtsbehörden entzieht, gerät die gesamte Flotte unter Generalverdacht. Außerdem müssen die russischen Flugzeuge für Teile ausgeschlachtet werden, und Konkursverfahren zeigen, dass es Jahre und Dutzende Millionen Dollar kostet, diese Schritte rückgängig zu machen. Wenn die Flugzeuge unter diesen Umständen auch nur eine Zeit lang betrieben werden, könnten sie fast Schrottwert erreichen.

Dieses Chaos kann letztlich zu höheren Versicherungsprämien und niedrigeren Flugzeugwerten führen. Die allgemeine Lehre daraus ist, dass das internationale Recht den steigenden geopolitischen Risiken möglicherweise nicht gewachsen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass westliche Investoren durch die Finanzierung chinesischer Leasingfirmen, die laut Cirium-Daten 75 russische Flugzeuge besitzen, in Russland engagiert sind. Ganz zu schweigen davon, dass ausländische Leasingfirmen in China selbst 806 Jets im Wert von 20 Milliarden Dollar besitzen und somit ein noch größeres Problem hätten, wenn dieses Land in die Sanktionen gegen Russland verwickelt würde. Selbst Vermögenswerte, die fliegen können, schaffen es nicht immer, sich über den Wirren einer fragmentierten Welt zu halten.

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March 28, 2022 03:53 ET (07:53 GMT)