Von Joe Wallace und Georgi Kantchev

LONDON (Dow Jones)--Die europäischen Energiekonzerne rennen um die Wette, um sich Finanzmittel in Milliardenhöhe zu sichern. Dies ist ein Zeichen für die finanzielle Anspannung, die durch die dramatischen Bewegungen der Erdgas- und Strompreise in diesem Winter verursacht wurde. Die deutsche Uniper, eines der größten europäischen Energieunternehmen, hat in den vergangenen Wochen Kreditlinien in Höhe von 10 Milliarden Euro von ihrer finnischen Muttergesellschaft und der Frankfurter Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Der Energieversorger, der europaweit Strom erzeugt und weltweit mit Gas handelt, hat außerdem eine bestehende Kreditfazilität über 1,8 Milliarden Euro bei Banken wie Goldman Sachs in Anspruch genommen.

RWE erklärte, ebenfalls von der Preisvolatilität betroffen zu sein, machte jedoch keine Angaben zum Umfang oder Zeitpunkt der finanziellen Vorkehrungen. "Starke Preisschwankungen führen natürlich zu einem vorübergehend hohen Liquiditätsbedarf", klagt ein Unternehmenssprecher. "Dafür haben wir mit unseren Kreditlinien und anderen Finanzierungsinstrumenten vorgesorgt."

Die Unternehmen benötigen zusätzliche Liquidität, um mit den steigenden Erdgas- und Strompreisen Schritt zu halten. Als die Märkte in den vergangenen Monaten zulegten, stiegen auch die Einschusszahlungen, die an Verträge gebunden waren, die die Energieunternehmen als Absicherung für den Verkauf von Gas und Strom abgeschlossen hatten.


   Gasmärkte auf Rekordniveau 

Kaltes Wetter und ein Rückgang der Lieferungen aus Russland trieben die Gaspreise zu Jahresbeginn 2022 erneut in die Höhe. Die Gasmärkte hatten Mitte Dezember Rekordhöhen erreicht, bevor sie sich abschwächten, als eine Flotte von Tankern aus den USA nach Europa fuhr, um von den hohen Preisen zu profitieren.

Derzeit notieren die Gaspreise in Europa mehr als fünfmal so hoch wie noch vor einem Jahr. Die Krise hat in Großbritannien schwer getobt, wo nach Angaben der Aufsichtsbehörden im vergangenen Jahr 28 kleine und mittelgroße Energieversorger in Konkurs gingen.

Einige von Unipers Absicherungen sind tief in den roten Zahlen. Der Düsseldorfer Energieversorger erklärte im November, dass er 90 Prozent seines deutschen Stroms für 2022 zu 49 Euro pro Megawattstunde auf Termin verkauft habe. Zuletzt wurden die deutschen Stromfutures für Februar mit 269 Euro je Megawattstunde gehandelt.

Die Eile, mit der Uniper die Mittel aufnimmt, zeigt, dass die Akteure des Energiemarktes über beträchtliche Barmittel, Kredite und Betriebskapital verfügen müssen, um die derzeitige Volatilität zu bewältigen, so die Analysten von RBC Capital Markets in einer Studie. Sie fügen hinzu, dass die Kreditlinien keinen Einfluss auf die kurzfristigen Gewinne von Uniper haben dürften.


   Uniper leidet besonders stark 

Die Aktien von Uniper kamen nach der Mitteilung unter Druck. Laut dem Unternehmen treiben hohe Rohstoffpreise zwar die Margenzahlungen in die Höhe, aber auch den Wert seiner Gas- und Stromanlagen. Die revolvierende Kreditfazilität über 1,8 Milliarden Euro, die das Unternehmen bei Banken in Anspruch genommen habe, diene dazu, "zusätzliche Liquidität und finanzielle Flexibilität in zukünftigen, möglicherweise extremen Marktbedingungen zu gewährleisten". Darüber hinaus hat Uniper nach eigenen Angaben weitere 10 Milliarden Euro in zwei Tranchen aufgenommen.

Derweil hat das Unternehmen auch eine Kreditfazilität von bis zu 8 Milliarden Euro mit Fortum, einem finnischen Energieversorger und Mehrheitsaktionär von Uniper, abgeschlossen. Die beiden Unternehmen schlossen die Fazilität am 22. Dezember ab, einen Tag nachdem die europäischen Gasfutures um 22 Prozent in die Höhe geschossen waren. Die Fazilität sieht Darlehen und Garantien vor.

Erst jüngst vereinbarte Uniper mit der staatlichen KfW eine Kreditlinie von bis zu 2 Milliarden Euro. Diese Linie läuft Ende April aus. Bislang hat Uniper einen Teil der Fortum-Kreditfazilität in Anspruch genommen, die KfW-Kreditlinie jedoch nicht genutzt. Das Unternehmen erklärte, dass die Kreditlinie ihm Flexibilität verschaffe, um potenziell extreme Marktbedingungen zu überstehen.


   Uniper verfügt über große Präsenz in Russland 

Nach Angaben von Fortum sind die europäischen Gaspreise im vergangenen Jahr um bis zu 1.000 Prozent gestiegen und erreichten im Dezember ein noch nie dagewesenes Niveau. Unter diesen Bedingungen konzentriere sich Uniper darauf, zuverlässige Lieferungen an seine Kunden sicherzustellen und seine Verpflichtungen einzuhalten, so Fortum.

Laut Factset-Daten sind die drei Kreditlinien mit 11,8 Milliarden Euro fast so groß wie die Marktkapitalisierung von Uniper mit 15,4 Milliarden Euro. Das Unternehmen verzeichnete in den ersten neun Monaten 2021 einen Verlust von 4,8 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 78 Milliarden, was zum Teil Papierverlusten bei Absicherungsgeschäften geschuldet ist.

Mit Gas-, Kohle-, Öl-, Kern- und Wasserkraftwerken in Deutschland und anderswo - einschließlich einer großen Präsenz in Russland - verfügt Uniper über eine installierte Stromerzeugungskapazität von rund 35 Gigawatt. Das sind genug, um etwa 26 Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen. Damit ist Uniper nach eigenen Angaben einer der größten Stromerzeuger der Welt. Uniper verfügt auch über eine Vertriebs- und Handelseinheit, die Gas sowie Strom an industrielle Energieverbraucher verkauft. Außerdem handelt der Konzern mit Flüssigerdgas und Kohle in Europa, Nordamerika und anderswo.

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January 05, 2022 10:35 ET (15:35 GMT)