Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Als ob die Börsen nicht schon genug Probleme hätten. Neben dem Ukrainekrieg, dem Risiko eines Stopps der russischen Gaslieferungen und den Lieferkettenproblemen wird nun die Geldpolitik immer mehr zu einer Gefahr für die Aktienmärkte. Die zuletzt stark gestiegenen Marktzinsen geben einen Vorgeschmack auf bald steigende Leitzinsen. Vorreiter wird dabei die US-Notenbank sein, aber selbst bei der EZB haben die Falken in der Zwischenzeit die Mehrheit.

Die Zeit der Negativzinsen neigt sich dem Ende zu. US-Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit rentieren in der Zwischenzeit bei 2,66 Prozent, entsprechende Bundesanleihen kommen immerhin auf 0,66 Prozent. Dies spiegelt vor allem die Erwartung der Anleger wider, dass die großen Zentralbanken die grassierende Inflation nicht länger ignorieren wollen oder können - sonst bekommen sie und die durch sie garantierten Fiat-Währungen ein ernstes Glaubwürdigkeitsproblem.

Wie schwerwiegend das Inflationsproblem in der Zwischenzeit geworden ist, dürften die in der kommenden Woche anstehenden US-Verbraucherpreise für März eindrucksvoll unterstreichen. Die Commerzbank rechnet mit einem Anstieg der Preise um 1,2 Prozent gegenüber dem Vormonat. Damit würde die Vorjahresrate auf 8,5 Prozent von 7,9 Prozent klettern. Ob dies der Gipfel ist, hängt vor allem davon ab, ob die Energiepreise weiter steigen. Bei der Kernrate, bei der die Energie- und Nahrungsmittelpreise herausgerechnet werden, erwarten die Analysten einen Anstieg auf 6,6 Prozent.


   In den USA zeichnet sich die stärkste geldpolitische Verschärfung seit 1994 ab 

Wie die Deutsche Bank anmerkt, werden derzeit am Markt weitere Zinserhöhungen in den USA von 220 Basispunkten im laufenden Jahr eingepreist. Falls es so kommen sollte, wäre dies die stärkste geldpolitische Verschärfung seit 1994. Ein großer Zinsschritt von 50 Basispunkten im Mai gilt als ausgemacht, möglicherweise gefolgt von einem zweiten im Juni.

Mit Blick auf die EZB erwartet die Deutsche Bank, dass die Zinsen im Euroraum zwischen September und Dezember 2023 um 250 Basispunkte steigen werden. Es wäre eine Zeitenwende. Damit würde die EZB, die lange Zeit aus Rücksicht auf den hochverschuldeten Süden ihr Inflationsmandat nicht ausreichend ernst genommen hat, Initiative zeigen. Die Falken im EZB-Rat haben die Kontrolle übernommen. Die meisten Beobachter gehen nun davon aus, dass der negative Einlagesatz von derzeit minus 50 Basispunkten bis Jahresende Geschichte sein wird.

Zwar ist es praktisch ausgeschlossen, dass die EZB auf ihrer Sitzung in der kommenden Woche die Zinsen anheben wird, allerdings dürfte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in der begleitenden Pressekonferenz einen falkenhafteren Ton anschlagen. "Allerdings bleibt unsicher, ob dieser aktuellen steigenden Bereitschaft zu Zinsanhebungen später im Jahr Taten folgen werden", heißt es bei der Commerzbank einschränkend. Denn diese beruhe auf der Annahme einer wachsenden Wirtschaft.


   US-Anleihemarkt sendet Rezessionssignale aus 

Dass die EZB für den Fall einer Rezession und dem damit verbundenen Einbruch der Unternehmensgewinne von einer geldpolitischen Verschärfung absehen würde, ist nur ein schwacher Trost für die Börse. Damit gesellt sich neben dem Krieg in der Ukraine, einem möglichen Stopp der Gaslieferungen aus Russland sowie den Lieferkettenproblemen, mit der sich abzeichnenden geldpolitischen Verschärfung durch die großen Notenbanken ein weiterer Risikofaktor für die Aktienmärkte hinzu.

Zeitweise lag die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen bereits über derjenige der zehnjährigen. Das wird von einigen Analysten als Signal für eine kommende US-Rezession gewertet. Tatsächlich ging allen Rezessionen in der Vergangenheit eine Inversion der Anleihekurve voraus, allerdings endete nicht jede Inversion in einer Rezession. Statistiker sprechen in einem solchen Fall von "false positives". Aber selbst wenn sich das Signal dieses Mal als korrekt erweisen sollte, dürfte eine Rezession erst im kommenden Jahr anstehen - für die Börsen noch zu weit entfernt.

Dass der DAX weiterhin über 14.000 Punkten handelt, ist erstaunlich. Erklären lässt sich das nur mit der Hoffnung der Anleger, dass es zu einer diplomatischen Lösung zwischen der Ukraine und Russland kommen wird. Je länger eine solche auf sich warten lässt, umso mehr dürfte der Abwärtsdruck an den Märkten zunehmen. Die weiter gestiegene Inflation und die verschärften Lieferkettenprobleme mit dem Lockdown in Schanghai dürften in der bald beginnenden Berichtssaison für das erste Quartal sichtbar werden. Dann könnte der DAX schnell auf neue Jahrestiefs fallen.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

DJG/mpt/raz

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April 08, 2022 06:21 ET (10:21 GMT)