Berlin (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich hinter Überlegungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gestellt, die europäische Verteidigungsfähigkeiten zu stärken - einschließlich atomarer Kapazitäten.

"Wir müssen darüber diskutieren, wie wir die richtige Mischung von Fähigkeiten erhalten, um Europa zu verteidigen und jeden Aggressor abzuschrecken", schreibt Scholz in einem am Donnerstag veröffentlichten Beitrag in englischer Sprache für den "Economist". Neben der nuklearen Abschreckung gehe es um starke konventionelle Streitkräfte, Luft- und Raketenabwehr sowie Cyber-, Weltraum- und Präzisionsschlag-Fähigkeiten. In diesen Bereichen gehe es darum, die europäische Verteidigungsindustrie durch Investitionen zu verbessern. "Wir müssen den europäischen Pfeiler unserer Abschreckung stärken."

"Um es klar zu sagen: Es wird keine 'EU-Kernwaffen' geben", schrieb der SPD-Politiker. Dies sei "einfach unrealistisch". Es gebe auch nicht die Absicht, die Souveränität der französischen nuklearen Abschreckung in Frage zu stellen. "Gleichzeitig begrüße ich es, dass der französische Präsident die europäische Dimension der französischen "force de frappe" betont hat", fügte Scholz mit Verweis auf die französischen Nuklearkapazitäten aber hinzu. Details nannte er nicht.

Frankreich ist neben Großbritannien Atommacht, verfügt aber bei weitem nicht über die Kapazitäten wie die USA, Russland und auch China. Der finanzielle klamme EU-Staat muss einen erheblichen Teil seiner Verteidigungsausgaben in die Erhaltung nuklearen Fähigkeiten investieren.

Macron wird am Sonntag zu einem dreitägigen Staatsbesuch nach Deutschland kommen. Am Dienstag trifft sich auch der deutsch-französische Ministerrat, um unter anderem über Verteidigungsfragen zu sprechen.

Hintergrund der Äußerungen von Macron und Scholz ist auch, dass es größere Unsicherheit als früher gibt, ob sich die Europäer unter dem nächsten US-Präsidenten - möglicherweise Donald Trump - noch auf das nukleare Schutzschild der USA bei einem russischen Angriff verlassen könnten. Scholz betonte, die Europäer müssten mehr zur transatlantischen Lastenteilung in der Nato beitragen - unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahl im November.

Russlands Angriff auf die Ukraine habe "beispiellose, tektonische Verschiebungen in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" ausgelöst, so Scholz. So werde erstmals eine ganze Brigade im Ausland stationiert und der Nato eine Division angeboten. Ausdrücklich warnte der Kanzler davor, Russlands Präsident Wladimir Putin zu vertrauen. Dieser wolle ein imperiales Russland wiederherstellen, indem er zunächst die Ukraine und Weißrussland zu Marionettenstaaten machen wolle. "Doch niemand, außer - vielleicht - Herrn Putin selbst, weiß, wo und wann dieses rücksichtslose Streben nach Imperialismus enden könnte." Putin habe keine Skrupel, weitere Länder zu überfallen.

Umso wichtiger sei es, Putin zu beweisen, dass man in der Unterstützung der Ukraine nicht nachlasse. Eine breite öffentliche Unterstützung für die Ukraine könne man aber nur aufrechterhalten, wenn man zugleich "unmissverständlich klarstellt, dass die Nato keine Konfrontation mit Russland sucht - und dass wir nichts tun werden, was uns zu einer direkten Partei in diesem Konflikt machen könnte", sagte Scholz. Hintergrund sind Vorschläge etwa von Macron, der auch Nato-Bodentruppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen hatte.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)