MÜNCHEN (awp international) - Siemens -Chef Joe Kaeser hat vor Aktionären für seine neue Strategie geworben, den einzelnen Bereichen mehr Freiräume und Selbstständigkeit zu geben. "Konglomerate alten Zuschnitts haben keine Zukunft mehr", sagte er am Mittwoch auf der Hauptversammlung in München. Deswegen müssten nun die Voraussetzungen für einen Siemens-Konzern der nächsten Generation geschaffen werden. Die Aktionäre selbst befürworteten den Kurs grundsätzlich, forderten aber Augenmass und insistierten, positive Errungenschaften nicht zu leichtfertig aufzugeben.

Kaeser verfolgt die Strategie eines "Flottenverbundes", der die einzelnen Einheiten selbstständiger und damit agiler und wettbewerbsfähiger machen soll. Vor diesem Hintergrund war bereits das Windgeschäft mit dem spanischen Konkurrenten Gamesa fusioniert worden. Für das Zuggeschäft wurde ein Zusammenschluss mit dem französischen Wettbewerber Alstom vereinbart. Die Medizintechnik soll voraussichtlich in wenigen Wochen an die Börse. Dann gäbe es künftig drei börsennotierte Töchter, die annähernd für die Hälfte des Konzernumsatzes stehen.

Einen schlankeren und flexibleren Siemens-Konzern präferiert auch Ingo Speich, Fondsmanager bei Union Investment. "Im Idealfall entsteht aus der fokussierten Neuaufstellung das beste aus beiden Welten: die Diversifikation eines Konglomerats gepaart mit der Agilität eines Spezialisten." Er warnte jedoch davor, den Wandel "Hals über Kopf" anzugehen. Die positiven Errungenschaften der alten Siemens-Welt sollten nicht "über Bord geworfen werden".

Allerdings sei zu fragen, wofür Siemens dann künftig stehe, wandte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) kritisch ein. Es gebe Bedenken, dass Siemens zu einer reinen Finanzholding werden könnte. So wollte etwa auch Winfried Mathes von der Deka Investment wissen, "wie soll Siemens künftig aussehen?"

Kaeser, der Details der neuen Strategie im Frühjahr vorstellen will, sieht die Marke Siemens künftig als "starkes und verbindendes Element". Die einzelnen Bereiche sollen sich so organisieren, "dass sich jedes einzelne mit den Spezialisten messen kann". Dabei wandte er sich erneut gegen Befürchtungen, Siemens könne in Einzelteile zerlegt werden. Er wolle keine Zerschlagung, betonte er. Früheren Aussagen zufolge sieht er Siemens auch nicht als Finanzholding.

Aktionäre befürchten auch, dass ein Investment bei Siemens etwa durch den Healthineers-Börsengang unattraktiver werden könnte. Die Medizintechnik ist eine der Ertragsperlen im Konzern. Den Investoren werde "ein Juwel aus der Krone gebrochen", so Speich. Deka-Vertreter Mathes brachte die Forderung vieler Aktionäre auf den Punkt: "Wir wollen Healthineers-Aktien." Die Aktionäre wollten nicht nur Spalier beim Stapellauf stehen, sondern "dabei sein". Laut Finanzvorstand Ralf Thomas sind jedoch keine Bezugsrechte für Siemens-Aktionäre vorgesehen.

Der Kurs von Siemens birgt zudem weitere Risiken: So stottert der Motor des Windgeschäft von Gamesa , was nicht nur dem aktuell schwierigen Marktumfeld mit scharfem Preisdruck geschuldet ist, sondern auch internen Problemen. Dieses gilt es nun bei der Zugfusion zu vermeiden. "Welche Lehren zieht man aus dem Fehlstart von Siemens Gamesa?", fragte daher Fondsmanager Speich. Der Versuch, aus "Tankern Schnellboote zu machen", habe bei Gamesa jedenfalls nicht funktioniert, kritisierte Bergdolt.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für die Aktionärsvertreter der schleichende Machtverlust von Siemens bei den Töchtern. Zwar will Siemens bei allen drei Bereichen die Mehrheit behalten. Die Entscheidungsmacht wird jedoch delegiert, auch wenn Siemens über den Aufsichtsrat weiterhin ein wichtiges Wort mitreden wird. Kaeser sieht laut früheren Aussagen kein Problem darin. Die Konzernmutter könne jedoch nicht mehr "alleine durchregieren, wenn es Konflikte oder Probleme gibt", so Speich. "Wie geht man mit Steuerungsproblemen um?", wollte er daher wissen. Und stellte dann fest: "Wäre es nicht konsequent, sich irgendwann komplett zu trennen, wie das Beispiel Osram zeigt?".

Auf Kritik stiess auch der Umgang mit den Problemen in der Kraftwerkssparte, in der Siemens wegen mangelnder Nachfrage Werke schliessen und tausende Stellen abbauen will. So kritisierte Mathes, dass sich der Niedergang der Sparte bereits seit längerem abgezeichnet habe. DSW-Vertreterin Bergdolt räumte den Handlungsbedarf ein, forderte aber, dass ein Stellenabbau nur das letzte Mittel sein dürfe. "Suchen Sie eine andere Lösung!" Auch Speich von Union Investment mahnte, nicht "leichtfertig komplette Standorte aufzugeben"./nas/tav/tos