Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Aussichten für das Weltwirtschaftswachstum haben sich nach Einschätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wegen der Eindämmung der Corona-Pandemie in vielen Industrie- und Schwellenländern verbessert. In ihrem aktuellen Wirtschaftsausblick weist die OECD allerdings auf anhaltende Ausbrüche der Pandemie in vielen Teilen der Welt hin, die die Erholung gefährden könnten.

Die OECD erwartet, dass das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2021 und 2022 um 5,8 und 4,4 Prozent steigen wird. In ihrem Prognose-Update von Anfang März hatte sie Wachstumsraten von 5,6 und 4,0 Prozent prognostiziert. Markant wurde vor allem die Wachstumsprognose Chinas angehoben, was die OECD aber nicht weiter begründet.

"Wir sehen mit Erleichterung, dass sich der wirtschaftliche Ausblick aufhellt, aber mit Unbehagen, dass das in sehr ungleichmäßiger Weise geschieht", schreibt OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone in dem Bericht. Die Weltwirtschaft erhole sich, aber unter wiederholten Ausbrüchen des Coronavirus, die sich stärker über die Welt verteilten. Die OECD geht davon aus, dass der größte Teil der Weltwirtschaft bis Ende 2022 das Vor-Corona-Niveau erreicht haben wird, aber das sei bei weitem nicht ausreichend.


   Weltwirtschaft bleibt unterhalb des vorpandemischen Wachstumspfads 

"Die Weltwirtschaft bleibt unterhalb ihres vorpandemischen Wachstumspfads, und in zu vielen OECD-Ländern wird der Lebensstandard bis Ende 2022 nicht das vor der Pandemie verzeichnete Niveau erreichen. Laut OECD hat das Netz staatlicher Hilfsmaßnahmen, Unternehmen, Haushalte und das gesamte Wirtschaftsgefüge in den meisten Industrieländern und in einigen Schwellenländern vor größeren Schäden bewahrt.

Das US-BIP wird laut OECD 2021 und 2022 um 6,9 (bisher: 6,5) und 3,6 (4,0) Prozent wachsen, das des Euroraum um 4,3 (3,9) und 4,4 (3,8) Prozent. Die OECD rechnet damit, dass die Verbraucherpreise im Euroraum um 1,8 und 1,3 Prozent steigen werden - einen dauerhaft erhöhten Inflationsdruck erwartet sie also nicht.

Für China prognostiziert die OECD BIP-Anstiege von 8,5 (7,8) und 5,8 (4,9) Prozent. Die Organisation begründet diese Anhebung allerdings nicht näher. In dem Bericht heißt es lediglich, die Wirtschaftsaktivität habe sich rasch erholt und das werde so bleiben, solange das Virus unter Kontrolle bleibe. Laut OECD ist allerdings der nur langsame Impffortschritt in China ein Abwärtsrisiko.


   Deutsche BIP-Prognosen werden leicht angehoben 

Für Deutschland erwartet die OECD BIP-Anstiege von 3,3 (3,0) und 4,4 (3,7) Prozent und geht davon aus, dass der Privatkonsum 2021 um 0,3 Prozent sinken wird, ehe er 2022 um 6,9 Prozent anzieht. Für die Exporte werden Zuwachsraten von 11,9 und 5,2 Prozent erwartet, die Nettoexporte sollen in den beiden Jahren BIP-Wachstumsbeiträge von plus 1,7 und minus 0,3 Prozentpunkten liefern. Für die Leistungsbilanz werden Überschüsse von 7,5 und 6,9 Prozent des BIP prognostiziert. Hilfreich wären nach Aussage der Organisation eine raschere Umsetzung staatlicher Investitionspläne und eine bessere Koordinierung der staatlichen Verwaltungsebenen bei den Impfungen.

Frankreichs BIP dürfte laut OECD um 5,8 (5,9) und 4,0 (3,8) Prozent steigen. Die Organisation weist darauf hin, dass es in Frankreich bis März trotz weitreichender Schutzmaßnahmen zu einem neuen Anstieg der Infektionszahlen gekommen sei. Nun aber dürften der angestaute Konsum und die belebte Exportnachfrage zu einer Erholung führen. Die Impfkampagne sei langsam verlaufen, habe zuletzt aber Fahrt aufgenommen.

Für Indien prognostiziert die OECD 9,9 (12,6) und 8,2 (5,4) Prozent und für Brasilien 3,7 (3,7) und 2,5 (2,7) Prozent Wachstum.


   Prognosen von großen Unsicherheiten umgeben 

Für alle Prognosen gibt es laut OECD erhebliche nach oben und unten gerichtete Risiken. Wichtigste Unsicherheiten bleiben der weitere Verlauf der Pandemie und die Verteilung der Impfstoffen, das Tempo der Auflösung des Sparüberhangs bei Konsumenten, die Lebensfähigkeit von Unternehmen ohne staatliche Unterstützung sowie die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern.

"Sehr beunruhigend" findet die OECD, dass immer noch nicht genügend Impfstoffe in den Schwellenländern und Ländern mit niedrigem Einkommen ankommen. Das setze diese Volkswirtschaften einer fundamentalen Bedrohung aus, weil sie weniger Hilfskapazitäten als die Industrieländer hätten. "Eine neuerliche virusbedingte Abschwächung des Wachstums wäre schwerer abzufangen, was zu einem weiteren Anstieg der akuten Armut und möglicherweise zu Problemen bei der Staatsfinanzierung führen würde, wenn die Finanzmärkte besorgt wären", warnt die OECD.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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May 31, 2021 04:02 ET (08:02 GMT)