Berlin (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat als Konsequenz des russischen Angriffs auf die Ukraine eine schnelle Reform der Europäischen Union gefordert.

Mehrheitsentscheidungen in der EU müssten ausgeweitet und transnationale Energienetze ausgebaut werden, sagte er in einer Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag. Er forderte zudem eine schnelle Annäherung der Westbalkan-Staaten an die EU, vermied eine Festlegung auf einen EU-Kandidatenstatus für die Ukraine, sagte dem Land aber weiter militärische Hilfe gegen Russland zu. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) forderte in der Debatte die Entlassung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).

Scholz beschrieb die EU in der Regierungserklärung zum EU-Sondergipfel Ende Mai als Friedensprojekt und damit in Anspielung auf Russlands Präsident Wladimir Putin als das Gegenteil von "Putins Autokratie". Zur Zeitenwende nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gehöre, dass sich die EU reformiere, unabhängiger etwa von russischen Energieimporte mache und ihre Verteidigungsfähigkeit erhöhe. Dafür seien mehr Ausgaben für Verteidigung und in Deutschland das Sondervermögen Bundeswehr nötig. Er appellierte an CDU/CSU, der dafür geplanten Grundgesetzänderung zuzustimmen. CDU-Chef Merz nannte als Voraussetzung dafür, dass die 100 Milliarden Euro nur für die Bundeswehr ausgegeben werden dürften. Darüber gibt es in der Ampel-Regierung noch keine Einigkeit.

Zugleich bremste Scholz Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach EU-Vertragsänderungen. Diese seien zwar kein Tabu. "Aber wenn wir eines nicht brauchen in dieser Zeit, dann ist das eine kontroverse, zeit- und energieraubende Nabelschau zu institutionellen Fragen", mahnte der SPD-Politiker. Viele Reformen in der EU könnten ohne langwierigen Änderungen der Verträge umgesetzt werden. Dazu gehöre die von Deutschland geforderte Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen in der EU. Hintergrund ist auch die Debatte über den Widerstand einzelner EU-Staaten gegen ein Ölembargo gegen Russland.

In der Beitrittsdebatte betonte er, dass es bei Verhandlungen keine Abstriche von den EU-Standards geben dürfe. Man warte im Falle der Ukraine auf eine Empfehlung der EU-Kommission zu einem möglichen Kandidatenstatus. Er werde bei den EU-Partner aber darauf dringen, dass die EU ihre Zusagen gegenüber den Westbalkan-Staaten einhalte, die ihre Vorgaben für weitere Gespräche erfüllt hätten. "Der westliche Balkan gehört in die Europäische Union", betonte Scholz.

"PUTIN WILL IMMER NOCH DIKTATFRIEDEN"

Der Ukraine sagte der Kanzler weitere Hilfe für die Verteidigung gegen den Angriff Russlands zu. "Noch immer glaubt Putin, dass er einen Diktatfrieden herbeibomben könne", betonte. Diesen Diktatfrieden werde es aber nicht geben, weil ihn die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht akzeptieren würden - "und wir auch nicht". Der Kanzler fügte hinzu: "Erst wenn Putin das begreift, erst wenn er versteht, dass er die Verteidigung der Ukraine nicht brechen kann, dann wird er bereit sein, ernsthaft über Frieden zu verhandeln." Zugleich betonte Scholz, dass die militärische Hilfe mit schweren Waffen keine Eskalation bedeute. "Einem brutal angegriffenen Land bei der Verteidigung zu helfen, darin liegt keine Eskalation", sagte er. Dies sei vielmehr ein Beitrag, den Angriff abzuwehren "und damit schnellstmöglich die Gewalt zu beenden". Auch CDU-Chef Merz sprach sich für weitere Hilfen an die Ukraine aus.

Oppositionsführer Merz kritisierte, dass Verteidigungsministerin Lambrecht seit Wochen viel mehr mit "Selbstverteidigung als mit der Verteidigung des Landes" beschäftigt sei. Scholz müsse sich von der SPD-Politikerin trennen. Dies werde der Kanzler sowieso tun müssen, also sollte er es sofort machen.