BERLIN (dpa-AFX) - Man wechselt das Pferd nicht im Galopp, heißt es. Doch genau dieses Bild bemüht SPD-Chef Norbert Walter-Borjans am Montag in Berlin. In der heißen Phase der Koalitionsverhandlungen löst die SPD fast geräuschlos eine Führungsfrage, die Parteien sonst gern über Monate zerreißt: Walter-Borjans nimmt seinen Hut, neuer Parteichef im Duo mit Saskia Esken soll der bisherige Generalsekretär Lars Klingbeil werden. Der Parteivorstand schlägt Esken und Klingbeil einstimmig für die Wahl auf dem Parteitag vom 10. bis 12. Dezember vor.

Es scheint der logische Schritt: Klingbeil gilt ohnehin bereits als Architekt des SPD-Erfolgs, hat großen Anteil am Zusammenhalt der Sozialdemokraten und als Wahlkampfmanager am Sieg der SPD bei der Bundestagswahl. Dass der 43-Jährige jetzt in die erste Reihe rückt, überrascht kaum. Aus allen Flügeln der Partei gab es lobende Worte. Kanzlerkandidat Olaf Scholz würdigte Esken und Klingbeil sogleich als "sehr gutes Team für Fortschritt und Zusammenhalt".

Das wird auch damit zu tun haben, dass Klingbeil zwar konservativer Seeheimer ist, doch als Mittler zwischen den Fronten auftritt. Mit dem SPD-Linken schlechthin, Parteivize und Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert, verbindet ihn eine Freundschaft. Esken, ebenfalls im linken Flügel zuhause, lobt seine Ruhe und positive Ausstrahlung.

In einem Video bei Youtube begründet Klingbeil noch am Vormittag seine Kandidatur: Als Generalsekretär sei er angetreten mit dem Versprechen, jeden Stein in der damals heftig gebeutelten SPD umzudrehen. Viel habe man geschafft, sich im Wahlkampf unter wahnsinnigem Druck von Platz drei auf eins gekämpft. "Aber", sagt Klingbeil, "ich will, dass es weitergeht. Ein Wahlsieg reicht mir nicht."

Die SPD soll unter Führung von Esken und Klingbeil zur modernen Volkspartei werden - in einer Zeit, in der viele längst nicht mehr an das Konzept einer Volkspartei glauben. "Wenn wir das alles richtig machen, dann liegt vor uns ein sozialdemokratisches Jahrzehnt in Deutschland, aber auch in Europa", meint der 43-Jährige.

Jetzt gehe es um die Mannschaftsaufstellung für die anstehenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. "Egal auf welcher Position man steht, ob im Kanzleramt, in der Regierung, in der Fraktion, in den Ländern oder in der Partei, wir spielen alle zusammen und wir schießen aufs gleiche Tor", betont Klingbeil.

Vor den Landtagswahlen jedoch stehen die Koalitionsverhandlungen im Bund. Der Zeitplan ist eng, zuletzt kriselte es, vor allem die Grünen zeigten sich unzufrieden. Eine Koalition könne man sich eben nicht "zusammenkuscheln", meint Walter-Borjans. Der 69-Jährige verhandelt noch mit, nach Kanzlerwahl und Parteitag will er dann aber raus sein. Ende Oktober hatte er erklärt, dass nun Jüngere ans Ruder sollten.

Esken und Walter-Borjans hatten im Dezember 2019 nach einem langwierigen Auswahlprozess die Nachfolge der zurückgetretenen Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles angetreten. Sie gewannen in einem langwierigen Mitgliederentscheid unter anderem gegen den späteren Kanzlerkandidaten Scholz, der gemeinsam mit der Brandenburger Politikerin Klara Geywitz kandidierte. Ein Parteitag bestätigte das Mitgliedervotum.

Diesmal sei aus seiner Sicht keine Mitgliederbefragung nötig, machte der Noch-Parteichef klar. Schließlich bleibe Esken an Bord und repräsentiere das Mitgliedervotum von 2019. Dass Klingbeil, mit dem man eng und gut zusammengearbeitet habe, nun aufrücke, sei wohl auch im Sinne der Mitglieder. Es gilt als unwahrscheinlich - wenn auch nicht ausgeschlossen, dass sich vor dem Parteitag noch weitere aussichtsreiche Kandidaten für den Parteivorsitz melden. Mehrere SPD-Vize wie etwa Arbeitsminister Hubertus Heil haben bereits angekündigt, dass sie weiter Stellvertreter sein wollen.

Ob der Wechsel an der SPD-Spitze Auswirkungen auf das Personaltableau der Koalitionsverhandlungen haben wird, ist umstritten. Walter-Borjans hatte bereits in seiner Rücktrittserklärung deutlich gemacht, dass die Parteivorsitzenden auch künftig nicht in der Regierung vertreten sein sollten. Satzungsgemäß ist das allerdings möglich - und das betonte Esken am Montag ausdrücklich.

Es wäre natürlich spannend, als Ministerin in einer Zukunftskoalition mitzuwirken, sagte sie der ARD. Auch in einer Pressekonferenz schloss sie ein Ministeramt nicht aus: Sie wolle gemeinsam mit Klingbeil die ganze Schaffenskraft der Aufgabe Parteivorsitz widmen - habe aber auch nicht vor, die Statuten der SPD zu ändern. Auch Klingbeil äußerte sich beim TV-Sender Phoenix ausweichend auf die Frage nach einem Ministeramt. Esken war zuvor als mögliche Bildungsministerin, Klingbeil als Verteidigungsminister gehandelt worden.

Ebenfalls offen ist die Nachbesetzung von Klingbeils Stelle als Generalsekretär. Darum werde man sich in den kommenden Wochen kümmern, sagten die amtierenden Parteichefs lediglich. Klar ist: Klingbeils Aufstieg verändert die Balance in der Parteispitze. Diskutiert wird deshalb nicht nur, ob eine Frau auf den Managerposten rücken sollte - sondern auch der Parteilinke Kühnert. Hinter den Kulissen zieht der 32 Jahre alte SPD-Vize im Willy-Brandt-Haus ohnehin bereits viele Strippen. Die Unterstützung der innerparteilich mächtigen Jusos hätte er. "Ein starker Kevin Kühnert ist auf jeden Fall das, was ich mir wünsche und was sich auch die Jusos wünschen", sagte Juso-Chefin Jessica Rosenthal dem Nachrichtensender Welt./tam/DP/eas