Jay Ralph, Vorstandsmitglied der Allianz SE

Hunger ist empörend. Er verletzt die Würde des Menschen. Und wirft in den besser genährten Gesellschaften die Frage auf, was wir noch unternehmen müssen, damit die Menschheit von dieser Geißel befreit wird. Noch empörender sind Geschäfte mit dem Hunger. Wer das tut, ist moralisch diskreditiert.

Wer so mitempfindet, ist berührt, wenn es aus heiterem Himmel heißt: Die Täter - das seid ihr. 2012 prasselten entsprechende Vorhaltungen von Oxfam und anderen Nichtregierungsorganisationen auf die Finanzbranche herab. Es wurde behauptet, Banken, Fonds und Versicherer wären aufgrund ihrer Investitionen an den Terminmärkten mitverantwortlich für hohe und volatile Lebensmittelpreise.

Doch die Vorwürfe treffen nicht zu. Auf den Terminmärkten werden nicht physische Güter - Weizen, Mais oder Soja - gehandelt, sondern Preisänderungsrisiken. Händler und Agrarproduzenten, darunter auch Kleinbauern, suchen Absicherung gegen diese Risiken. Genau die wird ihnen von Finanzinvestoren gewährt. Das Geschäft ist für beide Parteien vorteilhaft. Die Agrarproduzenten geben das Preisänderungsrisiko an Investmentpartner ab, die dafür eine Prämie erhalten. Der Wettbewerb, der dadurch entsteht, dass eine Vielzahl von Investoren sich an diesem Geschäft beteiligen, verhilft den Agrarproduzenten und -händlern zu einer günstigeren Prämie.                                          

Wie aber steht es mit der Behauptung, die Finanzspekulation würde die Preise auf dem Kassamarkt, wo die realen Agrarrohstoffe gehandelt werden, erhöhen - zu Lasten armer Menschen weltweit? Eine solche Kausalität ist nicht haltbar. Darauf weisen aktuelle Studien erneut hin. Die Wissenschaftler führen die starken Preissteigerungen der letzten Jahre stattdessen auf ein Zusammenwirken verschiedener realwirtschaftlicher Faktoren zurück. Hierzu zählen die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln in Schwellenländern, das Abschmelzen der Lagerbestände, die Subventionierung von Bio-Energie sowie staatliche Eingriffe, etwa Exportverbote.

Wenn zusätzlich extreme Angebotsverknappungen Schockwellen aussenden, etwa wegen Missernten, dann kann es auf den Kassamärkten zu extremen Preisausschlägen kommen. Die Terminmärkte spiegeln diese Entwicklung wider, lösen sie jedoch nicht aus.

Als Finanzinvestoren greifen wir selber nicht in den realen Handel mit Lebensmitteln ein. Wir entziehen dem Markt keine Rohstoffe. Wir verstehen den ethischen Impuls der Nichtregierungsorganisationen, wir teilen ihn sogar. Deshalb wollen wir Transparenz, um gemeinsam an Themen zu arbeiten, die einen Beitrag zur Armutsbekämpfung in der Welt leisten. Ein Anknüpfungspunkt wären Mikroversicherungen für Arme, die wir bereits für zehn Millionen Menschen in Asien und Afrika betreiben.

Wir sehen hier eine Chance, Dialog und Zusammenarbeit zwischen Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen weiter zu intensivieren. Unsere Erfahrung mit Gesprächen und Kooperationen in den vergangenen Jahren waren ausnahmslos gut.

Ob bei bei amnesty international, CARE, Germanwatch, Greenpeace, Transparency International, urgewald oder dem WWF - überall begegneten wir kompetenten, engagierten und aufrichtigen Menschen. Sie haben uns geholfen, Themen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und zu bewerten sowie Skeptiker im eigenen Haus und außerhalb zu überzeugen. Ohne ihr Wissen und ihre Mitarbeit wären unsere Aktivitäten im Klimaschutz, in der Nachhaltigkeit und der Mikroversicherung nicht so weit gediehen.

Kompetenz und verantwortungsbewusster Umgang mit den Themen entscheiden über den Erfolg eines Dialogs. Die Rolle der Nichtregierungsorganisationen als unabhängige und glaubwürdige Frühwarner und Mitentwickler alternativer Lösungen wird in einer zunehmend komplexen und krisenanfälligen Welt noch wichtiger.  Das vermeintliche Eintreten für die "gute Sache" allein wird dabei keine Schuldzuweisungen rechtfertigen.

Das gilt umso mehr, wenn Wissenschaftler und Experten wiederholt davor warnen, dass geforderte Maßnahmen, wie in diesem Fall ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Investoren, dem eigentlichen Anliegen schaden. Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler und auch die Allianz dürften sich einig sein in ihrem ethischen Empfinden und dem Bewusstsein, für die Hilfe hungernder Menschen Verantwortung zu tragen. Wir möchten deshalb einen Weg finden, von dem wir gemeinsam überzeugt sind.

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